Der Kuss des Verfemten
sein Pferd am Zügel. Er schob Martin beiseite. »Lass das deinen Knappen erledigen. Du solltest einfach zu ihr hineingehen und dich bei ihr entschuldigen.«
»Entschuldigen?« Entschieden warf Martin seinen Kopf zurück.
»Dein verdammter Stolz«, tadelte Rudolf. »Du hast genauso einen Dickschädel wie die schöne Prinzessin.«
Martin lehnte seine Stirn an das warme Fell seines Pferdes. Was ging nur in ihm vor? Warum benahm er sich wie ein unreifer Jüngling? Hatte sie ihm wirklich schon so den Kopf verdreht, dass er den Verstand verlor?
Er atmete tief ein. »Ja«, sagte er nur. »Du hast recht, wie immer. Und ich hoffe, wir sind sie bald wieder los. Sie raubt mir meine Nerven.«
»Ein bisschen bist du selbst dran schuld, weil du sie dir rauben lässt. Andererseits … dein Herz spricht eine andere Sprache als dein Kopf.«
»Ich glaube, ich bin dir heute keine gute Gesellschaft beim Ausritt«, sagte Martin verdrießlich. »Jakob, bring mein Pferd in den Stall und sattle dafür den braunen Wallach für Mathilda. Ritter Rudolf soll einen angenehmen Tag haben. Ich werde mich inzwischen bei Isabella entschuldigen.«
Jakob führte Martins Pferd weg. Mit großen Schritten eilte Martin zum Haupthaus. Rudolfs besorgten Blick nahm er nicht mehr wahr. Er kämpfte gegen sich selbst. Seine Bitterkeit war immer noch da, aber darunter quälte ihn eine tiefe, leere Sehnsucht.
Isabella stand neben dem Bett. Obwohl Martin wesentlich größer war als sie, versuchte sie, auf ihn herabzublicken, indem sie den Kopf nach hinten neigte und ihn unter gesenkten Lidern betrachtete. Die erlittene Demütigung brannte in ihr wie eine schallende Ohrfeige, und sie ließ Martin gar nicht erst zu Wort kommen.
»Ihr vergesst, wen Ihr vor Euch habt, Ritter Martin«, sagte sie scharf. »Oder sollte ich Euch lieber Raubritter nennen? Denn die Bezeichnung Ritter verdient Ihr nicht. Was seid Ihr für ein Ritter, der sich nimmt, wonach ihm gelüstet?«
»Es war nur ein Kuss, Hoheit. Der macht Euch nicht ärmer. Außerdem sind Eure Küsse süß und mir sehr willkommen. Euer Aufenthalt hier wäre für Euch wesentlich angenehmer, wenn Ihr mir ein wenig entgegenkommen würdet.«
»Nur ein Kuss?«, höhnte Isabella. »Glaubt Ihr, ich ergebe mich Euch? Ihr habt meine Ehre verletzt, indem Ihr mich geküsst habt. Und noch schlimmer, dass es vor diesem Gesindel geschah!«
Martin presste die Zähne zusammen, und seine Augen verengten sich.
»Ihr schätzt Eure Lage offensichtlich völlig falsch ein, Isabella. Sonst würdet Ihr nicht derart kühne Reden führen.«
»Ihr vergesst, dass Ihr Euch nicht mehr auf dem Kreuzzug befindet und rauben und plündern könnt, wie Euch beliebt. Denn genau das habt Ihr doch wohl getan? Auch wenn es nur schmutzige Heiden waren, die Euch in die Hände gefallen sind, so haben sie doch Euren Sinn verwirrt und Eure Tugenden beschmutzt. Und Ihr vergesst, dass ich eine Christin bin und zudem die Tochter des Herzogs. Des Herzogs, dem Ihr Treue geschworen habt.«
Ein sarkastisches Lächeln überflog Martins Gesicht. »Das vergesse ich keinen Augenblick, Isabella. Ich frage mich nur, woher Ihr Eure Kenntnisse über Dinge habt, die den Kreuzzug betreffen. Ich vermute, mit Gundram ist die Fantasie durchgegangen. Besser gesagt, er hat die Personen verwechselt.«
»Es nützt Euch nichts, Euch zu rechtfertigen. Ihr seid nichts weiter als ein gemeiner Räuber und Dieb. Und wer die Tochter des Herzogs als Geisel nimmt, um seine persönlichen Interessen durchzusetzen, ist zudem ein Verbrecher.« Zornesröte überzog Isabellas Gesicht, und die Adern an ihrem Hals traten hervor.
Für einen Augenblick schien es, dass Martin die Beherrschung zu verlieren drohte. Er hielt die Fäuste an beiden Seiten des Körpers zusammengeballt, um sich davor zu schützen, sie in seine Arme zu reißen und zu küssen – oder zu töten. Im Augenblick ging der Wunsch nicht über den Gedanken hinaus. Doch plötzlich blitzten seine Augen unheilvoll auf, und er näherte sich ihr langsam. Schritt für Schritt wich sie zurück, bis sie an die Bettkante stieß und erschrocken zum Sitzen kam.
»So, denkt Ihr das von mir?«, fragte Martin, und sein Blick heftete sich starr auf Isabella, deren Zorn in Unsicherheit und Angst umschlug. Es war der Blick eines gejagten Rehs, das den nahen Tod riecht. Und Martin war sich nicht sicher, ob er nicht töten wollte. »Dann ist es ja egal, wenn ich mir das nehme, wonach es mich gelüstet, auch wenn es die Tochter des
Weitere Kostenlose Bücher