Der Kuss des Verfemten
Schläue und katzenhafte Gewandtheit auszeichnete, und der fast mädchenhaft wirkende blondlockige Patrick, der Rudolf nicht von der Seite wich. Patrick war unglaublich treffsicher mit dem Pfeil und schien das untrügliche Auge eines Adlers zu besitzen. Dabei erschien sein Gesicht so sanft und schmal wie das eines Mädchens. Auch sein Körper trug noch knabenhafte Züge, und Isabella fragte sich, wie dieser Junge das schwere Schwert handhaben konnte. Eigentlich ein Jammer, dass sie alle würden sterben müssen. Spätestens dann, wenn der Herzog dieses Raubritternest ausheben würde. Denn dass er auf die unsinnigen Forderungen des Boten eingehen würde, glaubte Isabella nicht einen Augenblick. Und es geschieht diesen Räubern recht! dachte sie. Doch der Gedanke daran erfüllte sie nicht mit der erhofften Befriedigung.
Unruhig lief sie in ihrem kleinen Gefängnis auf und ab, während sie die Hände erregt an die Brust presste. Sie kämpfte gegen die Unrast in ihrem Inneren an, die sie in den letzten Tagen immer häufiger befiel.
Man ließ sie allein, kümmerte sich nicht um sie! Auch wenn sie niemand an ihren täglichen Rundgängen hinderte, so kam sie sich nutzlos vor, einsam und verlassen. Alle waren mit irgend etwas beschäftigt, die Mägde in der Küche und im Stall, die Knechte im Burghof, die Männer übten an den Waffen, die Frauen lachten und scherzten an den Waschtrögen. Und Mathilda wich nicht von Rudolfs Seite. Einmal beobachtete Isabella sogar, dass beide gemeinsam ausritten. Mathilda war nicht mehr Martins Gefangene, seit sie zu seinem Gefolge zählte, weil sie sich Ritter Rudolf hingegeben hatte. Diese Verräterin!
Tränen des Zorns stiegen in Isabellas Augen. Sie fühlte sich allein. Und sie musste ihrem Zorn Erleichterung verschaffen!
Sie riss die Tür auf. »Jakob!«, rief sie ungehalten in den Gang. Der Knappe, der im Hof schon zum fünften Mal Martins Pferd bürstete, dass es wie gewachstes Leder glänzte, ließ den Whist fallen und eilte herbei.
»Ja, Prinzessin, habt Ihr einen Wunsch?«
»Einen Wunsch?«, höhnte sie. »O nein! Ich will mich beschweren. Und zwar bei Martin persönlich! Ich fühle mich miserabel behandelt!«
»Hat Euch jemand etwas angetan?«, fragte Jakob erschrocken und riss seine schwarzen Augen auf. Er hatte lange, gebogene Wimpern wie ein Mädchen, und das allein reizte Isabellas Unmut noch mehr.
»Das werde ich dir Grünschnabel nicht auf die Nase binden!«, schnaubte sie. »Ich will Martin persönlich sprechen! Rufe deinen Herrn!«
Jakob lief eilig davon, um Martin zu suchen. Frauen konnten manchmal ganz schön biestig sein. Vor allem, wenn sie Prinzessinnen waren!
*
Martin stand auf dem Wehrgang und blickte nachdenklich in die Ferne, wo sich der Wald als dunkler Saum am Horizont entlang zog.
»Du hast Kummer«, hörte er hinter sich die Stimme seines Freundes Rudolf, Ritter von der Kiebitzmark. »Und du steckst voller Zweifel.«
Es war unnötig, Rudolf etwas vorzuspielen. Martin seufzte. »Ich bange um den Boten, dass er nicht in die Hände der Soldaten des Herzogs fällt.«
»Der Bote ist ein guter Mann, er wird sich nicht zu erkennen geben und vorsichtig sein. Du zweifelst, ob der Herzog auf deine Forderung eingeht.«
»Er muss! Ich habe doch seine Tochter!«
Rudolf holte tief Luft. »Es ist Isabella, die dir Gedanken macht, nicht wahr?«
»Ja, auch.« Martin hielt seinen Blick fest an den Horizont geheftet. Er konnte Rudolf nicht in die Augen sehen.
»Da kann dir allerdings niemand helfen. Du betrachtest sie nicht als deine Gefangene, als deine Geisel. Sie hat dir das Herz geraubt.«
Martin fuhr herum, und Qual stand in seinem Gesicht geschrieben. »Verdammt noch mal, Rudolf, warum musste mir das passieren? Ausgerechnet mir? Ich habe es nicht gewollt, ich habe es nicht heraufbeschworen! Konstanze hat mir völlig ausgereicht, um mir Freuden der Liebe zu bereiten.« Er hielt die Fäuste geballt, und sie enthielten all seinen Zorn und seine Ohnmacht.
»Konstanze mag dich lieben und dir ihren Körper auch mit Liebe schenken, Martin, aber du erwiderst nicht das Gefühl dieses einfachen Mädchens. Du findest Entspannung und körperliche Freuden in ihren Armen. Doch du verspürst die Liebe zu Isabella.«
»Liebe? Dieser hässliche Schmerz hier drinnen soll Liebe sein?« Martin hämmerte erbost mit der Faust auf seine Brust. »Sie verachtet mich, sie ist arrogant und herablassend, ja, sie würde mir mit Freuden ein Schwert ins Herz bohren, wenn sie es nur in
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