Der Kuss des Werwolfs - 1
liegen — und davon gehe ich aus —, darf keine Sekunde gezögert werden, der Sache vollständig auf den Grund zu gehen. Sie müssen sich in unsere Obhut begeben, junge Dame.«
Violet und Adrian Buringham nickten bekräftigend.
»Moment!« Nola kam es vor, als wäre alles längst über ihren Kopf hinweg beschlossen worden, und sie könnte nur noch zustimmen. »Ich habe nichts zugesagt. Vi hat mir am Telefon was von Werwölfen erzählt. Das ist doch Quatsch. So etwas gibt es nicht. Und selbst wenn Werwölfe beißen, ich wurde gekratzt.« Den
letzten halben Satz sprach sie mit Nachdruck, und danach war alles g esa g t .
»Natürlich haben Sie recht — Werwölfe beißen, sie zerreißen ihre Opfer. Aber manchmal kratzen sie auch. Glauben Sie uns, wir haben als Werwolfjäger jahrelange Erfahrung in diesen Dingen. Wenn wir Ihre Kratzer einmal sehen dürften?«
Der Pole schaute sie an. Seine Augen waren von einem wässrigen Blau, und sein Blick streichelte ihre Seele, nahm ihre Gefühle gefangen und ließ vor ihrem inneren Auge das Bild entstehen, wie er sie an sich zog und küsste. Er wollte gerade nach ihrem Arm greifen, als das Bild zerplatzte. Sie zog ihren Arm zurück.
»Ms. McDullen, ich kann Ihre Bedenken verstehen, wenn Sie nie mit dieser Seite unserer Welt in Kontakt gekommen sind. Für jeden ist es schwer, zu glauben. Wir sind froh, dass Sie überhaupt mit uns sprechen. Es ist zu Ihrer eigenen Sicherheit. Bisher waren es Kratzer, beim nächsten Mal können es richtig tiefe Furchen sein, und wenn er Sie findet, hilft Ihnen kein Selbstverteidigungsspray.«
»Die Kratzer sind verheilt, und seitdem ist nichts mehr passiert. Da, schauen Sie.« Nola streckte ihm ihren rechten Arm hin. Die Striemen auf der Innenseite waren verblasst. Am Unterarm, wo der längste Kratzer gewesen war, war der letzte Schorf heute Morgen abgegangen.
»Und wann ist das passiert?« Der Pole hob die Hand, als wolle er über ihren Arm streichen, überlegte es sich dann aber anders und blieb mit dem Finger in der Luft hängen. »Sie müssen uns alles erzählen!«
»Über meine Verletzungen spreche ich mit meiner Ärztin und nicht mit Leuten, die ich erst vor ein paar Minuten kennengelernt habe«, sagte sie steif.
»Es geht nicht nur um Ms. McDullens persönliches Wohl — so sehr mir das am Herzen liegt«, mischte sich Adrian Buringham ein. »Es geht auch darum, wie die Bevölkerung Londons damit umgehen soll, wenn Werwölfe unter uns sind. Die Leute müssen aufgeklärt werden. Sie brauchen Hinweise, wie sie sich verhalten sollen, wenn eines dieser Monster vor ihnen steht.«
»Und du glaubst, dass »Daily 16« das richtige Organ dafür ist«, dachte Nola. Er würde die Leute doch einfach nur noch mehr ängstigen, um Quote zu machen oder wie man das bei einer Zeitung nannte. Fast schämte sie sich für Violet, die dabei mitmachte.
»Schätzchen, wenn der Werwolf in London wäre, hätte er dich gefunden und geschnappt«, mischte sich zum ersten Mal die schöne Polin ein. Ihr Akzent war noch stärker als der ihres Bruders, gab ihrer Stimme aber eine erotische Färbung, die auf Männer und Frauen gleichermaßen wirkte. Adrian hing an ihren Lippen, und auch Nola konnte sich ihr nicht entziehen. »Er hätte dich zerrissen, und du wärst nicht mehr unter uns.« Sie zuckte mit den Schultern, als hätte das weiter keine Bedeutung. Nola sah, wie ihr Bruder ihr einen Blick zuwarf, der sie zum Schweigen bringen sollte, doch sie interessierte sich nicht dafür. »Indem er sich in deine Träume schleicht, sucht er dich, um dir näher zu kommen.«
»Wenn das wahr wäre — und ich glaube immer noch, dass es keine Werwölfe gibt — und er mich auf diese Weise finden kann, dann könnte er einfach in meine Wohnung spazieren und mit mir tun, was er will.«
»Das können sie manchmal nicht, soweit wir gehört haben. Die genauen Gründe kennen wir nicht, schließlich wissen wir auch nicht alles über sie. Die Bestien laden uns nicht in ihre Behausungen ein.«
»Höhlen, wohl eher«, sagte der Chefredakteur.
Die Polin schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln . »Wie Sie meinen. Jedenfalls muss Nola damit rechnen, dass er ihr näher kommt, und wenn er vor ihr steht, sollte sie besser nicht allein sein. Es muss jemand bei ihr sein, der sich mit der Sache auskennt, sonst wird ihr kein noch so schöner Zeitungsartikel helfen.«
»Antonia!«
»Bruder, das musste gesagt werden, und wenn ich darauf hätte warten sollen, dass du es tust, wären wir morgen
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