Der Kuss des Werwolfs - 1
früh noch nicht fertig gewesen. Du bist immer so umständlich.«
Es klang, als hätten die Geschwister Gespräche dieser Art schon oft geführt. Nola grübelte, ihre Freundin sah unbehaglich und der Chefredakteur erbost aus. Hätte sie Vi nur nie von ihrem Traum und den Kratzern erzählt. Werwölfe und diese komischen Jäger — so ein Quatsch!
Und wenn nicht?
Schließlich stimmte sie zögernd zu, sich übermorgen noch einmal mit den polnischen Geschwistern zu treffen. Dann wollten sie ihr Beweise für die Existenz der Werwölfe vorlegen.
»Einer von unserer Art hat sie berührt«, sagte Derenski zu seinem russischen Leibwächter Igor. Er stand in der Suite des vornehmen Carlton am Fenster und blickte hinunter auf die Maida Vale im westlichen London, während Igor, die langen Beine übereinander geschlagen, in einem tiefen Sessel saß. Der Russe reinigte seine Fingernägel mit der Spitze eines Klappmessers und sah aus, als wäre er ganz in seine Tätigkeit vertieft. Doch der Eindruck täuschte, ihm entging nicht die kleinste Bewegung im Zimmer.
»Sonst hätte sie meinem Blick nicht standhalten können«, sinnierte der Krakauer Rudelführer weiter.
Antonia kam aus dem Bad, in einen weißen Hotelbademantel gehüllt. Das Haar hatte sie sehr damenhaft am Hinterkopf hochgesteckt, und sie blies auf ihre Fingernägel, auf denen dunkelroter Nagellack trocknete. Sie hatte die letzten Worte ihres Seelenpartners gehört. »Und wie du sie angeschaut hast! Ihre Journalistenfreundin hätte sich dir am liebsten nackt an den Hals geworfen.«
»Eleonore McDullen.« Igor ließ den Namen auf der Zunge zergehen. »Ich frage mich, warum sie das so dämlich abkürzen muss. Nola hört sich an wie eine stinkende Seife.«
»Sie kürzen hier alles ab. Ihre Freundin wird Vi genannt.«
»Wie?«
»Vi. Eine Abkürzung für Violet.« Antonia zuckte mit den Schultern. Ihr Nagellack war jetzt trocken, und sie ging im Zimmer umher. Sie schaute aus dem Fenster, stellte eine Spieluhr auf dem Sims des künstlichen Kamins von einer Seite auf die andere und nahm schließlich die Fernbedienung in die Hand, ließ den Fernseher dann aber doch aus.
Derenski drehte sich vom Fenster weg und fixierte seine Seelenpartnerin. Er mochte es nicht, wenn sie umherlief, als sei ihr langweilig. »Wir müssen das Vertrauen der Menschin gewinnen. Ich muss wissen, was es mit dieser Sache auf sich hat.«
»Denkst du, es ist Monroe, Chef?« Igor war mit seinen Fingernägeln fertig, klappte das Messer zusammen und steckte es in eine Tasche seiner Cargo-Jeans.
»Er sitzt in seinem Gefängnis außerhalb der Zeit, nicht einmal ich selbst weiß, wie er von dort befreit werden könnte. Er kann es eigentlich nicht sein, aber ich wüsste nicht, wer es sonst sein sollte.« Derenski dachte kurz daran, wie er das Pulver für die Bannung in einem längst vergessenen Keller unter der Krakauer Burg entdeckt hatte, nachdem er zuvor in der Hinterlassenschaft des Alchimisten Basilius Valentinus erste Hinweise darauf gefunden hatte. Er hatte den kompletten Nachlass des Alchimisten an sich gebracht, aber nie einen Gegenzauber gefunden.
»Wir machen es so: Antonia, du gewinnst das Vertrauen dieser Nola. Freundschaft unter Frauen und so … du weißt schon. Igor lässt sie mit seinen Leuten nicht aus den Augen, während du die Menschin von ihnen ablenkst, und wenn sich ihr ein Werwolf nähert, schlagt ihr zu.«
»Wird gemacht, Chef. Auch wenn es Consett Enderby ist?« »Auch dann. Ich werde in der Zwischenzeit Pawel Tworek sein und mich selbst jagen.« Er grinste. »Antonia trifft sich dann wie verabredet übermorgen mit ihr.«
»Ist recht, Chef.« Igor stand auf und verließ die Suite.
»Was machen wir bis übermorgen?«, fragte Antonia.
»Was du willst, meine Liebe.«
Antonia und Derenski stürzten sich ins Londoner Nachtleben. Sie trug ein Kleid aus schwarzer Spitze, das wie eine zweite Haut auf ihrem Leib saß, hochhackige Sandalen, die mit Lederriemen um ihre Waden geschnürt waren. Auf jeglichen Schmuck hatte sie verzichtet, das Haar floss offen ihren Rücken hinunter. Derenski hatte sie zu einem schwarzen Anzug und einem schwarzen Hemd überredet. Ihn zu überzeugen, Krawatte und Weste wegzulassen, hatte sie viel Mühe gekostet. Er war jedoch nicht dazu zu bewegen gewesen, mehr als den obersten Hemdknopf zu öffnen. Maksym war eben durch und durch ein polnischer Graf — und das war genau das, was sie an ihm faszinierte.
Es war bereits nach Mitternacht. Sie flanierten
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