Der Kuss des Werwolfs - 1
und seine Stimme klang, als wäre er wirklich besorgt.
Sie hörte nicht auf ihn, sondern schlenderte weiter am Wasser entlang. Der Stand vor ihr wurde enger, ein scharfer Fels sprang vor. Eigentlich war die Bucht an dieser Stelle zu Ende, aber die Flut war weit genug entfernt, sodass sie um den Fels herumgehen konnte. Dadurch verschwand sie aus Rhodrys Blickfeld. Sie hörte ihn rufen, kümmerte sich aber nicht darum. Ihre Schuhe waren inzwischen durchnässt, doch auch das interessierte sie nicht. Mal sehen, ob sich ihr Werwolf nicht provozieren ließ!
Sie betrachtete die Klippen: schroff, steil, unüberwindbar. Vor sich entdeckte sie zwei, drei Spalten und auf halber Höhe eine Höhle, die aber nur ein wagemutiger Kletterer erreichen konnte. Sie zwängte sich in eine Spalte und schob sich immer tiefer hinein, bis sie das Gefühl hatte, unrettbar festzustecken, sollte sie sich noch eine Handbreit weiter vorwagen. Sie zwang sich zu langsamen Atemzügen.
Eine Welle leckte in den Spalt, berührte ihre Schuhspitze und zog sich wieder zurück. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sich hier zu verstecken. Die nächsten Wellen waren allerdings wieder viel kürzer, keine reichte bis in den Spalt, und sie beruhigte sich wieder. Es konnte noch Stunden dauern, bis die Flut kam, bis dahin war sie längst wieder raus aus dem Spalt - musste sie raus sein, denn es war verdammt eng hier drin. Sie hörte Rhodry näher kommen. Seine Stiefel knirschten auf den Steinen.
»Nola!«, rief er. In seiner Stimme schwangen Sorge und Zorn.
Sie drückte sich mit dem Rücken enger an die Wand.
»Nola, wo bist du? Komm her!« Seine Stimme war jetzt ganz nah, er musste genau vor der Klippe stehen. Immer noch hörte sie Zorn und Sorge.
Dann verdunkelte seine Gestalt den Spalt. Sie hielt den Atem an. »Bist du da drin? Die Flut kommt. Wir haben keine Zeit für solche Späße.« Er beugte sich vor.
Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis er sie entdeckte. Was als Spaß begonnen hatte, kam ihr auf einmal nicht mehr lustig vor. Ihr war kalt, ihre Füße waren nass, und Rhodry war wütend auf sie. »Ich bin hier.«
»Komm raus, Prinzessin.« Die Erleichterung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Er streckte ihr seine Hand entgegen, und als sie sie ergriff, zog er sie mit einem Ruck aus der Spalte heraus und in seine Arme. Eine Welle rollte heran, eine lange. Rhodry hob Nola hoch und brachte sie beide mit einem waghalsigen Sprung vor dem Wasser in Sicherheit. Das ganze Abenteuer hatte offenbar länger gedauert, als Nola gedacht hatte, denn das Meer war inzwischen ein ganzes Stück gestiegen. Um die Klippe konnten sie nicht mehr herumgehen, dort donnerten jetzt die Wellen an den Fels. Die Bucht, in der sie sich befanden, war viel kleiner als die, in der sie zuerst gewesen waren; der steinige Strand war schmaler, und es gab auch keine Treppe, die nach oben führte. Dafür war an den Klippen deutlich zu erkennen, bis wohin die Flut normalerweise stieg. Sie rannten gemeinsam zu den Steilklippen.
»Wir müssen hier irgendwie hoch. Schaffst du das, Prinzessin?«
Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern schob sie dem Fels entgegen. Es gab viele Spalten und Vorsprünge, die ihren Händen und Füßen Halt boten, dennoch fiel es Nola mit ihrem langen Kleid und der verletzten Schulter alles andere als leicht, die Klippe hochzuklettern. Mehrmals rutschte ihr Fuß ab, und wäre Rhodry nicht hinter ihr gewesen, hätte sie es nicht geschafft.
Oben angekommen ließ sie sich keuchend ins Gras fallen. Ihre Schuhe waren zerkratzt, ihr Rock schmutzig und zerrissen. Die überstandene Angst ließ sie immer noch zittern. Das war keine gute Idee gewesen. Der Earl schwang sich über die Kante, seine Kleidung sah ebenso derangiert aus wie ihre, aber sein Atem ging normal, und seine Miene zeigte Erleichterung. Er kniete sich neben sie.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Oh, Rhodry, es tut mir so leid. Ich hätte nicht gedacht, dass die Flut so schnell kommt.«
»Es ist ja nichts passiert.« Er strich ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Nola lehnte sich an ihn und hielt ihm die Lippen zum Kuss entgegen. Mit den Händen klammerte sie sich an seinem Revers fest. Er presste seinen Mund auf ihren, sie öffnete ihn und ihre Zungen begannen ein Spiel. Als Rhodry von ihr abließ, war Nola trotz des schottischen Winters heiß. Ihr Traummann sollte sie nehmen - hier und jetzt, und die Seelenpartnerschaft endlich Wirklichkeit werden lassen. Sie zog
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