Der Kuss des Werwolfs - 1
Zofe Jane und Eugene. Nola trug einen pelzbesetzten Mantel, hatte die Hände tief im Muff vergraben und eine Kapuze übers Haar gezogen. Eine Schulter hielt sie etwas höher als die andere, doch das war alles, was sie sich von ihrer Verletzung noch anmerken ließ. Trotzdem sah sie zerbrechlich aus.
Er trat auf sie zu, nahm die Hand, die sie ihm hinhielt, und zog sie an seine Lippen. Blitzschnell drehte er sie um und presste den Mund auf ihre Handfläche. »Alles ist bereit, Prinzessin.«
Ein Stallbursche half ihr und Jane in die Chaise, klappte den Tritt hoch und schloss den Wagenschlag. Der Kutscher war auf den Bock geklettert, und er schnalzte mit der Zunge, als die beiden Burschen die Pferdeköpfe freigaben und zurücksprangen. Die vier Rappen trabten an, die Räder der Chaise ratterten über das Pflaster und zum Tor hinaus.
Rhodry verwandelte sich binnen Sekunden und folgte in weichen Sprüngen. Zehn weitere Werwölfe begleiteten die Reisenden, um ihren Schutz im Sommerhaus zu garantieren.
In der Kutsche wickelte Jane ihre Herrin in mehrere Decken und legte ihr ein Fell über die Knie, zuletzt schob sie ihr einen heißen Ziegel unter die Füße. Nola schaute aus dem Fenster auf die vorbeigleitende Landschaft; im Osten erhob sich eine fahlgelbe Sonne über den Horizont. Sie hatte gewusst, dass Rodry nicht mit ihr in der Chaise fahren würde, dennoch war sie enttäuscht. Sie spähte angestrengter aus dem Fenster und versuchte, ihn auszumachen. Als sie einen Schatten entdeckte, der in immer gleichem Abstand zur Chaise blieb, glitt ein Lächeln über ihre Züge. Sie kuschelte sich in ihre Ecke der Kutsche und machte es wie Jane - versuchte, noch ein wenig Schlaf zu finden.
»Ich rieche das Meer«, sagte Jane, als die Sonne den höchsten Stand überschritten hatte, und zog die Nase kraus. Nola schnupperte ebenfalls. Es roch nach Salz in der Luft, nach Tang und Feuchtigkeit.
Die Kutsche fuhr eine Auffahrt entlang, und das Haus am Ende des Wegs versetzte Nola in Erstaunen. Rhodry hatte von einem Sommerhaus gesprochen, und sie hatte ein Cottage erwartet, vielleicht etwas größer, aber vor ihr stand ein zweistöckiges Gebäude, sieben Fenster zeigte die Front. Es war groß genug für eine Familie und aus dem grauen Stein der Highlands erbaut.
Rhodry trat aus der Tür, als die Kutsche davor hielt. Die Pferde scheuten bei seinem Anblick zurück, aber weil sie von der Fahrt erschöpft waren, hatte der Kutscher keine Mühe mit ihnen.
Nola dachte daran, wie Rhodry nach der Verwandlung nackt vor ihr gestanden hatte — heute war er bereits wieder angezogen. Gab es eigentlich einen Bediensteten, der die Kleidungsstücke nach der Verwandlung wieder einsammelte? Nola lachte innerlich über das Bild, dass in ganz Schottland Kleidung verwandelter Werwölfe verteilt war.
Rhodry half ihr aus der Kutsche und führte sie ins Haus.
»Bist du müde? Willst du dich ausruhen?«
»Natürlich nicht, ich will das Meer sehen.«
Rhodry lachte. Er führte sie am Haus vorbei und eine schmale Treppe hinunter in eine Bucht. Das Meer rollte in immer gleichen Wellen heran. Es war gerade Ebbe und der Strand ziemlich groß, aber er war nicht so, wie Nola erwartet hatte: Statt aus Sand bestand er aus dem grauen Stein, aus dem ganz Schottland war.
»Möchtest du wieder zum Haus?«, spottete ihr Traumann milde. Er hatte offenbar bemerkt, dass der Strand nicht ihren Erwartungen entsprach.
»Ich überlege, die Schuhe auszuziehen und durchs Wasser zu gehen.«
»Das solltest du besser nicht, Prinzessin. Das Wasser ist eiskalt, und die scharfen Steine würden deine hübschen Zehen verletzen.«
»Was hast du schon von meinen Zehen gesehen?«
»Nicht sehr viel. Wollen wir das ändern?« Er packte sie um die Hüfte und machte Anstalten, sie auf die Steine zu legen.
Nola quietschte überrascht auf. Sofort stelle Rhodry sie wieder auf die Füße, ordnete ihren Rock. »Ich wollte dir keine Angst bereiten.«
»Das hast du nicht.« Manchmal war er wirklich begriffsstutzig.
Sie gingen nebeneinander her, er hielt ihre Hand und half ihr über schwierige Stellen, machte aber keinen Versuch mehr, sie zu necken. Nach einer Weile machte sich Nola von ihm los und lief vor zum Wasser. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass der Werwolf ihr nicht folgte. Sie ging immer weiter, und erst als eine Welle ihren Schuh streifte, stoppte sie - noch immer war Rhodry ihr nicht gefolgt. Sie winkte ihm, aber er schüttelte den Kopf.
»Komm zurück, Nola!«, rief er,
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