Der Kuss des Werwolfs - 1
ob Werwölfe verabscheuungswürdige Bestien oder zu bewundernde Wesen waren. Der Texte schwankte zwischen diesen Extremen. Immerhin erfuhr sie, dass es drei Arten gab, wie ein Werwolf seine Gestalt wandelte. In jeder Vollmondnacht verwandelte er sich in seine Wolfsgestalt und am Ende der Nacht wieder zurück - dagegen konnte nichts und niemand etwas tun. Außerdem verwandelte der Werwolf sich bei heftigen Gefühlen; Hass, Wut, Freude, Gier, Erregung konnten die Verwandlung auslösen, aber bis zu einem gewissen Grad konnte ein Werwolf lernen, sich zu beherrschen. Dann gab es noch die Möglichkeit, dass ein Werwolf lernte, sich zu verwandeln. Dazu gehörte nach Meinung des anonymen Autors viel Übung. Und eine Unterart dessen war, dass ein Werwolf sich nur halb verwandelte; der Körper wurde der eines Wolfes, der Kopf blieb menschlich.
Nola ließ das Buch sinken. Wie war es wohl, wenn man sich in einen Wolf verwandelte? Überall wuchs einem Fell, die Körperform veränderte sich, auf einmal musste man auf vier Pfoten laufen. Und der Geist? Blieb er der eines Menschen oder wurde er zu dem eines Tieres? Am wenigsten konnte sie sich vorstellen, wie die halbe Verwandlung vor sich ging und was daraus für ein Wesen entstand. Konnte sie sich das für sich vorstellen? Denn darauf lief es hinaus, wenn sie ihren Gefühlen zu Rhodry nachgab und an seiner Seite blieb: dass sie ebenfalls zur Werwölfin wurde. Er hatte es ja bereits gesagt.
Lord Sharingham fiel ihr ein, der Werwolfjäger. Er sah nur die dunkle Seite der Werwölfe, und zeigten die Wölfe selbst vielleicht genauso nur ihre helle? Dann erhielte sie nie ein vollständiges Bild. Auf einmal wusste sie, was sie zu tun hatte, bevor sie endgültig entschied, auf Shavick Castle unter Werwölfen zu leben. Sie wollte beide Seiten hören. In jedem Gerichtsverfahren, in jeder Parlamentsdebatte wurden alle Seiten vorgetragen, dann musste sie doch auch das Recht dazu haben. Sie würde mit dem Werwolfjäger Kontakt aufnehmen, ihn treffen und seine Seite hören. Danach würde sie eine Entscheidung treffen. Das war fair, das war vernünftig.
Sie hatte nur den Verdacht, Rhodry würde ihren Plan nicht gutheißen, deshalb würde sie ihm nichts davon sagen. Sie war keine Gefangene auf Shavick Castle. Sie hatte das Recht, ins Dorf zu gehen und sich umzusehen. Das wollte sie morgen machen.
Kapitel 18
Im Stall traf Nola auf Teddy, der gerade den linken Vorderhuf eines Rappen hochgehoben hatte und die Sohle kritisch untersuchte. Es war eines der Pferde, mit denen sie und Rhodry ans Meer gereist waren. Das Tier schnaubte, als sie eintrat, und Teddy sah auf. Er ließ den Huf los, richtete sich auf und tippte sich grüßend an seine Kappe.
»Teddy, ich brauche ein Pferd. Ich möchte gerne ausreiten.«
»Sehr wohl, Mylady.«
Er wollte sich umdrehen, um ihren Befehl auszuführen. Nola trat dicht an ihn heran.
»Ich will alleine ausreiten, du verstehst?« Sie ließ einige Münzen in seine Hand gleiten. Was Amelia bei ihrer Zofe konnte, das brachte auch sie fertig.
Teddy zögerte, ließ dann jedoch das Geld in seiner Kitteltasche verschwinden. Er holte die braune Stute aus der Box, mit der sie schon einmal ausgeritten war.
»Soll ich das Pferd vor die Burg bringen?«
»In den Park.« Dort gab es einen Weg, auf dem Nola hoffte, das Gelände von Shavick Castle ohne großes Aufsehen verlassen zu können. Sie schlenderte aus dem Stall und über den Burghof durch eine Pforte in den Park. Sie gelangte ungesehen hindurch und atmete auf. Bis hierher war alles gut gegangen. Vom Hof hörte sie Hufgeklapper, Teddy kam mit der Stute.
Statt dem Stallburschen erschien jedoch Brandon Hatherley in der Pforte. »Sie wollen Shavick Castle verlassen, Mylady? Zu Pferd?«
»Ich will ausreiten.«
»Allein? Das solltet Ihr in diesen unruhigen Zeiten nicht tun. Dort draußen treiben sich die Krakauer herum.«
»Ich muss mal raus. Die dicken Mauern der Burg erdrücken mich.« Das war nicht einmal gelogen.
Teddy wartete mit der Stute vor dem Park, flüsterte mit ihr und strich ihr über die Nase, da die Nähe des Werwolfs sie nervös machte. Nola überlegte fieberhaft, wie sie Brandon Hatherley schnell loswerden konnte. Je länger sie hier standen, desto größer war die Gefahr, von weiteren Werwölfen entdeckt zu werden.
»Ich bot Euch an, Mylady, Euch bei allem, was Ihr vorhabt, zu unterstützen. Wenn Ihr ausreiten wollt, werde ich Euch begleiten. Dann seid Ihr sicher. Nehmt Ihr meine Hilfe an?«
Ich
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