Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)

prallten.
    »Danke«, murmelte Wolfer, während Saber das schwere, geschnitzte Kopfteil festhielt, damit es nicht zu Boden fallen und jemanden verletzen konnte. Er wünschte, Alys würde ihn etwas schneller und möglichst unauffällig loslassen. Stattdessen ließ sie die Hände flüchtig über die Haut oberhalb seines Hosenbundes gleiten, woraufhin ein anderer Wunsch in ihm aufkeimte: dass sie ihre weichen Brüste noch ein wenig länger gegen die harten Muskeln seines Rückens pressen würde.
    Alys sagte nichts. Sie brachte keinen Ton heraus. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie presste die Lippen fest zusammen, weil sie den überwältigenden Drang verspürte, herauszufinden, wie Wolfers schweißfeuchte Haut schmeckte. Sie nahm ihm das Seitenbrett ab, damit er und sein Bruder die schweren Kopf- und Fußteile tragen konnten, und trat auf den Gang hinaus. Als sie tief den Atem einsog, stellte sie fest, dass ihre Kleider jetzt seinen Geruch angenommen hatten.
    Ja, er riecht ganz eindeutig besser als Saber.
     
    Wolfer krümmte sich innerlich, als Alys erneut genüsslich schnupperte. Aus irgendeinem Grund glaubte er nicht, dass sie den Duft der Mahlzeit einsog, die Trevan zubereitet hatte. Sie saß auf einem Stuhl zwischen ihm und Morganen, den er für sie herangezogen hatte.
    Der Esstisch stand jetzt in einem der Räume über der Küche im Nordflügel. Sie hatten ihn dorthin gebracht, um die Halle des Donjons in einen improvisierten Audienzsaal verwandeln zu können, mit dem sie die Mandariter beeindrucken wollten – jene fremdländischen Bastarde, die Dominor entführt hatten. Niemand hatte ihn in die große Halle zurückgeschafft, und das würden sie auch in Zukunft nicht tun, der Raum, in dem er jetzt stand, bot genug Platz für den großen achteckigen Tisch und die dazugehörigen Stühle.
    Da das Ausräumen der Kammer seines Zwillings den restlichen Vormittag in Anspruch genommen hatte, war ihm vor dem Essen gerade genug Zeit geblieben, um sich in seiner Kammer hastig mit einem feuchten Lappen den gröbsten Schweiß abzureiben. An ein Bad und frische Kleider war nicht zu denken gewesen. Alys holte erneut tief Atem. Wolfer hoffte nur, es wäre der Duft des Meeresfrüchtesalates und des mit Kräuterbutter bestrichenen Brotes, den sie so offensichtlich genoss. Trevan hatte die Shrimps gekocht, bis sie zartrosa waren, sie mittels eines Zaubers abgekühlt und mit würziger süßsaurer Sauce auf einem Bett von Gemüse, in Scheiben geschnittenen hart gekochten Eiern und Käse angerichtet.
    Ein weiteres Schnuppern von Alys gab ihm zu denken. Sabers Schweiß konnte sie vermutlich nicht wahrnehmen, da sein Zwilling zu seiner anderen Seite saß, aber Wolfer wagte nicht, den Ellbogen mehr als ein kleines Stück anzuheben, weil er fürchtete, sie könne ohnmächtig werden. Hoffentlich kostete sie wirklich nur den Geruch des Essens aus. Es verringerte seine Unsicherheit auch nicht, dass sie jedes Mal, wenn sie die Gabel zum Mund führte, die Augen schloss und einen wohligen Laut ausstieß, während sie jeden Bissen voller Wonne verspeiste.
    Wann ist sie so sinnlich geworden? , fragte er sich und beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus. Er registrierte, wie sie den Becher mit dem magisch gekühlten Saft mit den Fingern umfasste, statt ihn am Henkel zu nehmen. Es war, als stünde dieser Becher für die Art, wie sie das Leben manchmal ohne Umschweife am Schopf packte; ein auffälliger Kontrast zu der zierlichen Weise, mit der sie ihre Gabel handhabte.
    Die Gegensätze, die sich in ihr vereinen, faszinieren mich immer noch, aber jetzt ist aus irgendeinem Grund mehr daraus geworden. Sie bedeutet mir mehr , gestand er sich ein, während er geistesabwesend einen Bissen von seinem Brot nahm. Sie ist eine erwachsene Frau, nicht mehr das kleine Mädchen, das ich einst gekannt habe.
    Er wäre über den Verlust seiner alten Spielgefährtin aus Kindertagen wesentlich bekümmerter gewesen, wenn die Frau an seiner Seite nicht andere Qualitäten entwickelt hätte, die ihn in seinen Bann schlugen, das wusste Wolfer instinktiv. Koranen war in der Zwischenzeit eifrig damit beschäftigt gewesen, den anderen etwas Lustiges zu erzählen, das ihm beim Pflücken der Früchte widerfahren war, die für alle, denen der Sinn nach mehr stand als dem Sommersalat ihres Bruders, auf einer Schale in der Mitte des Tisches bereitlagen. Doch Wolfer nahm von dem launigen Gespräch kein Wort bewusst wahr, weil immer wieder ein Paar grauer Augen zu ihm