Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
würde der Schlag treffen, wenn eine Frau durch ihr Land reist, die nicht nur das den Brüder prophezeite Unheil ausgelöst, sondern auch noch Nightfall für sich beansprucht hat.«
»Warum hast du das eigentlich getan?«, fragte Alys. Die Worte waren kaum heraus, da lief sie auch schon rot an. »Entschuldige, Kelly. Ich wollte nicht neugierig sein.«
Kelly winkte lachend ab. »Ach was. Ich glaube, dafür gab es mehrere Gründe. Ich wollte den Brüdern statt eines Exils eine Heimat schaffen. Und meine Autorität über sie festigen, da ich über keinerlei Magie verfüge, um mich gegen sie zu behaupten«, gab sie achselzuckend zu. »Irgendwie musste ich die Burschen ja in Schach halten.«
»Aber sie brauchen nur Nein zu sagen, und dann müssen sie dir nicht mehr gehorchen«, gab Alys zu bedenken. »Dann kannst du sie nicht mehr dazu zwingen, sich deinem Willen zu beugen.«
»Nicht, ohne Kung-Fu einzusetzen, und selbst dann können sie sich mit ihrer Magie zur Wehr setzen«, räumte Kelly ein. »Deshalb beschränkt sich meine Herrschaft ja auch auf die Wochenenden, die Ferien – das ist eine Art Abfolge von nichtreligiösen Feiertagen«, erklärte sie, als Alys sie verwirrt ansah. »Und wenn wir Besucher haben. Verstehst du, indem die Regel nur für eine bestimmte Zeit oder in bestimmten Situationen greift, haben die acht das Gefühl, die restliche Zeit selbst das Zepter in der Hand zu halten.
Und wir werden ja Besucher bekommen«, fuhr Kelly zuversichtlich fort. Dann fügte sie mit gerümpfter Nase wehmütig hinzu: »Zumindest hoffe ich, dass sich nicht nur die sechs prophezeiten Frauen hier einfinden. Vielleicht leben eines Tages so viele Menschen hier, dass wir eine Art Regierung brauchen – und dann ist schon eine vorhanden, was uns viele Scherereien ersparen wird. Sie müsste in dem Fall nur noch schnell handlungsfähig werden.«
»Vielleicht hast du recht«, versetzte Alys. Die Logik der anderen Frau war durchaus nachzuvollziehen. »Aber warum hast gerade du die Rolle der Regentin übernommen?«
»Warum nicht ich? Ich habe in meiner alten Welt einige Erfahrungen gesammelt, die mir von Nutzen sind, und ich kann Menschen gut lenken«, gab Kelly zurück. »Und ich bin eine gute Organisatorin, das ist sehr wichtig.« Sie lächelte, ihre blauen Augen blitzten. »Außerdem bestehe ich darauf, in einem zivilisierten Land zu leben. Warum sollte ich nicht die Zügel in die Hand nehmen? So ist gewährleistet, dass die Zivilisation, die ich aufbaue, für mich akzeptabel ist. Die Lebensumstände mit eingeschlossen. Du hast Glück, Alys, du bist erst hergekommen, nachdem ich darauf bestanden habe, dass die Jungs die Burg von oben bis unten schrubben. Vorher war sie ein Schweinestall.«
Alys kicherte, als Kelly übertrieben erschauerte. »Du gibst jedenfalls eine bessere Königin ab als ich. Ich bin für so etwas nicht geeignet, ich kenne meine Grenzen.«
»Hmm. Dann fang an, deine Grenzen zu erweitern«, riet Kelly ihr. »Das festigt den Charakter oder irgendeinen anderen philosophischen Mist.«
Kellys Bemerkung brachte Alys zum Lachen. Diese Frau aus einer anderen Welt ist wirklich ganz anders als alle Menschen, die ich kenne, aber auf keine unangenehme Weise. Wie wohl ihr Universum aussehen mag?
»Okay.« Kelly stellte den Becher zur Seite. Die Sonne begann bereits den westlichen Horizont zu berühren. Bald würde das Abendessen aufgetragen werden. »Ein letztes Mal noch, diesmal so schnell du kannst. Aber behalte alles unter Kontrolle. Bislang ist der Ablauf noch wichtiger als die Schnelligkeit, aber die müssen wir auch langsam aufbauen.«
Alys nahm Grundhaltung ein und bereitete sich innerlich vor. Kelly hob die Brauen, Alys nickte, und Kelly hob den Arm. Sie hatte schon zu dem Schlag mit dem Handrücken ausgeholt, als sie ein Knarren hörte. Vor Schreck legte sie zu viel Wucht in den Schlag und traf die jüngere Frau so hart ins Gesicht, dass diese halb herumgerissen wurde. Auf den Schlag folgte lautes Gebrüll, dann stürmte eine muskulöse Gestalt in den Raum.
Kelly reagierte instinktiv, packte zu und verdrehte einen von Wolfers nach ihr ausgestreckten Armen. Sie stieß ihn zu Alys hinüber, die besser reagierte, als die ältere Frau gehofft hatte, und ihren Geliebten über die Hüfte zu Boden schleuderte. Er landete mit einem vernehmlichen Ufff! auf der Matte, gefolgt von einem zischenden Atemzug, als sie Anstalten machte, gegen seinen Oberschenkel zu treten. Alys keuchte, hielt sich gerade noch davon
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