Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
hättest du nie etwas anderes getan. Du hast dich weder von deiner Überraschung über meinen unverhofften Angriff noch von der Überraschung über deine eigene erfolgreiche Verteidigung aus dem Konzept bringen lassen. Gut gemacht, Alys!«
Alys entspannte sich ein wenig. Ihre Beine begannen vor Anstrengung zu zittern. »Ich … ich habe zuerst nicht verstanden, warum du mich gestoßen hast, aber als ich den Stoß zurückgegeben habe und du mich geschlagen hast … es war genau, wie du gesagt hast. Ich wusste plötzlich, was ich zu tun hatte.«
Kelly umarmte sie. »Ausgezeichnet! Jetzt hast du begriffen, worauf es ankommt. Komm, wir gehen die Übung noch einmal durch, und dann machen wir Schluss für heute.«
Alys berührte die Stelle auf ihrer Wange, wo Kellys Hand sie getroffen hatte. Verglichen mit den Hieben ihres Onkels war dieser Schlag leicht gewesen. Ihre Wange brannte zwar, aber es würde noch nicht einmal ein blauer Fleck zurückbleiben. »Du, äh, du kannst mich auch fester schlagen, wenn es sein muss, ich kann das aushalten.«
Kellys Augen begannen grimmig zu funkeln. »Es tut mir leid, dass du so viel durchmachen musstest, Alys. Ich werde dich niemals so schlagen. Aber um zu verhindern, dass du nur erstarrt herumstehst, muss ich zumindest leicht zuschlagen. Gerne tue ich es nicht.«
»Aber ohne das kannst du mich nicht richtig unterrichten«, stimmte Alys zu. »Es hilft, wenn ich es nur als eine der Pflichten betrachte, die ich zwischen den Wutanfällen meines Onkels zu erfüllen hatte. Es hilft wirklich.«
Das trug ihr ein Lächeln der anderen Frau ein. »Dann sind die Kung-Fu-Lektionen ab jetzt ein fester Bestandteil deiner täglichen Pflichten.«
Alys kicherte. »Wenn es dir gelingt, mich von Wolfer loszueisen. Er scheint zu glauben, dass meine wichtigste Pflicht darin besteht, mich mit ihm im Bett zu vergnügen.«
»In dieser Hinsicht scheint er seinem Zwilling sehr ähnlich zu sein«, bekannte Kelly in einem lüsternen Tonfall, und beide Frauen lachten. Dann schüttelte Kelly grinsend den Kopf. »Man kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Drei Jahre ohne Frauen auf der Insel? Die Ärmsten. Nun ja, wie es aussieht, werden hier früher oder später sechs weitere Frauen auftauchen.«
»Und denen willst du dann allen Kung-Fu beibringen?« Alys blickte sich in ihrem provisorischen Trainingsraum um.
»Natürlich. Aber nur den Damen. Den Herren steht ja ihre Magie zur Verfügung.« Kelly vollführte eine abwinkende Handbewegung.
»Mir auch«, erinnerte Alys sie. »Ich verfüge zwar nicht über so ausgeprägte Fähigkeiten wie die Zwillinge, aber ich habe doch das eine oder andere gelernt.«
Kelly hob eine ihrer rötlichen Brauen. »Sind denn alle Bewohner dieser Welt magisch begabt?«
»O nein.« Alys schüttelte den Kopf. »Längst nicht alle. Durch Heiraten untereinander konzentriert sich die Magie vornehmlich auf die oberen Gesellschaftsschichten. Je höher der Rang, desto stärker die magischen Fähigkeiten. Natürlich gewähren die Götter ab und an auch Angehörigen der Unterschichten die Gunst, Magie ausüben zu können. Ich weiß nicht, wie es in anderen Ländern aussieht, aber so ist es zumindest in Katan. Und so war es in Aiar, bevor es zerstört wurde.«
»Von diesem Land habe ich schon gehört.« Kelly holte ihren Saftbecher. »Wo liegt es doch gleich? Nahe genug, um ihm einen Besuch abstatten zu können?«
»Es ist ein Kontinent weit oben im Norden, ungefähr so hoch über dem Sonnengürtel, wie Katan darunter liegt«, erklärte Alys. »Außerdem befindet sich Aiar hinter dem Großen Riff. Kein Schiff mit Tiefgang ist in der Lage, es zu durchqueren. Und aufgrund des Krieges sind alle großen Portale geschlossen worden, und von unseren Spiegelpforten verfügt kaum eine über eine so große Reichweite. Also wagen sich nur flache Barken nach Norden oder Süden, um dort Handel zu treiben, und das auch nur in der ruhigsten Zeit des Jahres, weil sie nicht hochseetüchtig sind. Die Händler werden stets von einem Magier begleitet, der die Wellen beruhigen soll, aber auch der kann gegen einen richtigen Sturm nicht viel ausrichten. Die Fahrt ist sehr gefährlich, dafür erzielen die Händler allerdings auch gewaltige Profite.«
»Ich lege keinen allzu großen Wert auf Seereisen.« Kelly zuckte die Achseln. »Also werde ich mir einen Ausflug in den Norden ersparen.« Sie lachte trocken auf. »Nicht, dass ich stattdessen den Westen besuchen könnte – die Mitglieder des Rates der Magier
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