Der Kuss Im Kristall
umging – mit ihrer Überzeugung, alles zu wissen, recht haben könnte.
„Ihren Freunden gegenüber sind Sie sehr loyal“, fuhr sie fort. „Und Sie werden nicht zögern, sie zu beschützen, sogar vor sich selbst. Sie …“
„Genug!“, rief er aus. Sie war mehr als eine Hellseherin – sie war eine Hexe! Er stand so schnell auf, dass der kleine Holzstuhl hintenüber kippte und auf den Boden fiel. „Das genügt für heute. Ich werde zurückkommen und für mein Geld den Rest einfordern, Madame . Darauf können Sie sich verlassen.“ In dem Gefühl, dass die Wände ihn zu erdrücken drohten, machte er kehrt und eilte zur Tür. Er hätte schwören mögen, dass er auf dem Weg hinaus einen gemurmelten Fluch hörte.
Alles in allem war sein Besuch hier dennoch ein Erfolg gewesen. Über die berüchtigte Madame Zoe hatte er eine Menge aufschlussreicher Dinge erfahren. Ihre leise jugendliche Stimme verriet, dass sie keine alte französische Immigrantin sein konnte. Wenn er sich nicht irrte, dürfte sie kaum älter als fünfundzwanzig sein. Ihre Größe bot einen weiteren Hinweis. Trotz ihrer Trauerkleidung hatte er erkannt, dass ihre Figur zu schmal war für eine alternde Matrone, außerdem hielt sie sich sehr gerade und kein bisschen gebeugt. Der Hauch von Maiglöckchen, der sie dezent umgab, war zart und ganz anders als die schweren Gerüche von Moschus und Rosen, die gerade sehr beliebt waren. Es war ein Duft, der ihn sofort erregte.
Und noch interessanter war, dass Madame Zoe keine Französin war. Als sie die fremde Sprache benutzt hatte, waren die Worte akzentfrei gewesen, doch als sie Englisch sprach, wirkte der aufgesetzte französische Akzent schrecklich.
Aber am besten war, dass er jetzt ihre Adresse hatte. Er wusste, wo er sie finden konnte, wenn er dazu bereit war. Und das würde bald sein.
Oh ja, Mr. Evans hatte recht gehabt. Sie war die fünf Pfund wert. Und mit Vergnügen würde Rob diesen Preis noch einmal für einen weiteren Besuch bezahlen.
3. KAPITEL
Alethea sah sich im großen Ballsaal des Argyle um. Das elegante Ambiente mit seinen kristallenen Lüstern und den Fresken an den Wänden wirkte wie aus einem Märchen. Alles war perfekt und gut vorbereitet für Dianthes weiteren Erfolg. Auf keinen Fall durfte einer der Gäste ihr Gespräch mithören, dann wäre alles verdorben.
Sie zog ihre Tante in eine ruhige Ecke. „Ich sage dir, Tante Grace, es war richtig unheimlich“, raunte sie. „Mir ist die Bedeutung jeder der Karten bekannt, aber ich wusste nicht, was die Reihenfolge für eine Aussage hat. Ich war mit seinem Schicksal verbunden, und ich bedeutete Gefahr für ihn – oder er für mich. Mir war nicht klar, wie herum es gemeint war. Ich versuchte nachzudenken, aber ich hörte immer das Wort Gefahr, und ich konnte es nicht aus meinen Gedanken verbannen. Ich schwöre, einen Moment lang hatte ich das Gefühl, Tante Henrietta flüsterte mir etwas zu.“
Grace erbleichte. „Du glaubst doch nicht …“
„Nein! Oh nein, natürlich nicht“, versicherte Alethea. „Es war nicht echt. Ihre Stimme gab es nur in meinem Kopf – mehr wie eine Erinnerung. Aber die Stimme lenkte mich ab, und Lord Glenross muss mich für verrückt halten. Ich hatte gerade angefangen, seine Zukunft zu lesen, als mich die Situation zu verwirren begann. Er kündigte an, er würde wiederkommen.“
„Und das ist er auch.“
Alethea drehte sich um und blickte in dieselbe Richtung wie Grace. Lord Glenross, in eleganter Abendgarderobe, durchquerte den Saal und steuerte geradewegs auf sie zu.
Ihr wurde vor Aufregung ein wenig schwindelig, und sie schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, dass sie nichts sagen oder tun würde, was ihre Identität als Madame Zoe verraten könnte.
Als er sie erreicht hatte, verbeugte er sich höflich und richtete sich dann lächelnd wieder auf. Alethea bemerkte, dass er sich seit dem Nachmittag die Haare hatte schneiden lassen. Jetzt sah er genauso aus, wie es in der beau monde üblich war, aber in seinem Gebaren lag etwas Wildes, Ungebärdiges – als wäre er ein Wolf im Schafspelz. Ihr gefiel er besser ohne diese zivilisierte Fassade.
Er richtete das Wort an Aletheas Tante. „Mrs. Forbush, ich stehe in Ihrer Schuld.“
Grace neigte den Kopf. „Und wofür das, Lord Glenross?“
„Für Ihre Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit Madame Zoe. Ich hoffe, es hat Ihnen nicht zu viel Ungelegenheiten bereitet?“
„Nicht im Geringsten, Mylord. Ich erhielt diese Informationen auf leichtere
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