Der Kuss Im Kristall
Lust, Begehren und Erregung, ja. Aber eine Leidenschaft, die so heftig danach verlangte, erfüllt zu werden? Niemals.
Er neigte den Kopf, sodass seine Lippen nur ein winziges Stück von ihren entfernt waren. „Sind Sie sicher?“, fragte er noch einmal.
„Ziemlich – ziemlich sicher. Ich habe so etwas noch nie getan. Ich hätte nicht herkommen sollen.“
„Nein. Das hätten Sie nicht. Aber jetzt sind Sie hier, und jetzt bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als die Konsequenzen zu tragen.“
„Welche Konsequenzen?“
Er senkte den Kopf noch ein Stück tiefer, sodass er sie berührte. Inzwischen hatte sie gelernt, die Lippen ein wenig zu öffnen. So dezent diese Bewegung war, so war sie doch kühn für eine Frau von Aletheas Erziehung. Doch ehe diese Nacht vorüber war, würde er dafür sorgen, dass sie mehr wagte. Viel mehr.
Ihre Einladung konnte er nicht ausschlagen – kurzerhand hob er Alethea hoch und trug sie zum Bett. Mit einer Hand hielt er sie an sich gedrückt, mit der anderen löste er den Verschluss ihres Umhangs, der zu Boden glitt. Dann trat er zurück und legte den eigenen Überrock ab.
Dabei hörte er nicht auf, sie bewundernd zu betrachten. Sie bot einen herrlichen Anblick. Ihre Augen glänzten und hatten einen Ausdruck angenommen, den Rob nie zuvor in ihnen bemerkt hatte. Erregung? Furcht? Oder gar, wenn die Götter es so wollten, Verlangen? Im Schein der Kerzen schimmerte ihre elfenbeinfarbene Haut, und ihr Gesicht war umrahmt von Locken, die aus kupferfarbener Seide gemacht zu sein schienen. Als ihre Unterlippe ein wenig zitterte und sie lächelte, schien sie ihm das schönste Geschöpf zu sein, dass er je gesehen hatte.
Dass eine Frau, die so warmherzig und anständig war wie Alethea Lovejoy, ihn begehrte, weckte eine unerwartete und zarte Hoffnung in ihm, eine Hoffnung, die er längst aufgegeben hatte. Nie gekannte Leidenschaft loderte in ihm auf, erfüllte sein Herz mit Staunen und mit Dankbarkeit. Vielleicht war er doch nicht das Tier, das Maeve ihm zu sein vorgeworfen hatte. Vielleicht war da doch etwas in ihm, das liebenswert war. Vielleicht hatte er mehr zu bieten als Stolz, einen Titel und ein Vermögen. Vielleicht – welch herrliche Vorstellung! – konnte er mit Alethea das erreichen, wonach er sich sein Leben lang gesehnt hatte.
In Aletheas Kopf schien sich alles zu drehen, während sie zusah, wie McHugh sich das Hemd aufknöpfte. Keinen einzigen klaren Gedanken konnte sie fassen, während sie die feine Linie aus Härchen betrachtete, die sich über seinen flachen Bauch zog. Ihr Blick fiel auf eine verblasste lange Narbe, die seine Kehle zeichnete. Dann sah sie die Narben, die er auf der Brust und den Armen hatte und die sich noch immer deutlich von seiner hellen Haut abhoben. Als hätte der Folterer seine Arbeit genossen und sie gekonnt verrichtet. Die Narben auf seinen Händen kannte sie schon, und sie wusste, was sie bedeuteten. Widerstand. Gegenwehr im Angesicht des Todes. Welches Grauen hatte er durchleben müssen, welche Kraft und Entschlossenheit hatte er besitzen müssen, um zu überleben? Sie erschauerte, und plötzlich wurde ihr kalt wegen dessen, was er erlitten hatte.
McHugh musste ihre Gedanken erraten haben, denn verlegen zerknüllte er das Hemd in den Händen zusammen. „Alethea, frage mich nicht nach meinen Narben, wenn du mich achtest. Dein Mitleid würde ich nicht ertragen.“
Sie versuchte, die Tränen zurückzudrängen, die in ihren Augen brannten. Dass er den Schmerz und die Narben aushielt, aber nicht ihr Mitleid, verriet ihr viel über ihn. „Ich achte dich sehr, McHugh“, sagte sie leise.
Er ließ das Hemd los und beugte sich über sie, ein Knie auf das Bett gestützt. Mit seinen großen, rauen Händen strich er über ihre Wange und ihren Hals. „Ich kann deinen Puls spüren, Alethea. Er schlägt so schnell wie der eines Spatzes. Hast du Angst?“
Angst? Sie wusste, sie sollte Angst haben. Aber sie konnte nur daran denken, wie wohl sie sich in seiner Nähe fühlte, als er sich neben sie legte, seine Arme fest um sie schlang, sodass ihre Brüste gegen seine Brust gedrückt wurden. Nur daran, wie es zwischen ihren Schenkeln prickelte, sodass bittersüßes Verlangen sie erfüllte. Und daran, wie er sie küsste, so leidenschaftlich, dass sie plötzlich wahrnahm, wie sie mit leisem Stöhnen nach mehr verlangte, seine Zunge mit ihrer berührte, ihn schmeckte und kostete.
„Hast du?“, fragte er noch einmal.
„Angst? Nein“, flüsterte sie an
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