Der Kuss Im Kristall
Leibwäsche darin fand. Himmel! Sie holte tief Luft und durchsuchte rasch diese persönlichen Dinge. Ihre Fingerspitzen schienen zu prickeln, als sie das feine Leinen berührte. Nichts.
Sie wunderte sich darüber, dass ihr Atem schneller ging, und ließ ahnungsvoll den Blick über die übrigen Schubladen schweifen. Wenn solch einfache Dinge sie schon derart in Unruhe versetzten, was mochten McHughs übrige Besitztümer mit ihr anstellen? Sie entschied, dass sie sich etwas anderem widmen sollte, und trat zu seinem Schrank, um zur Kommode zurückzukehren, wenn sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte.
Sie öffnete die Tür und betrachtete die Dinge darin. Zwei schwere wollene Überröcke, ein weicher Hausmantel aus dunkelblauem Samt, die schlichten eleganten Westen und Jacken, die seinen Stil ausmachten, und auf einem Regal darüber drei Hüte. Auf dem Boden standen eine Reihe glänzender Schuhe und Stiefel. Auch hier nichts.
Gerade als sie die Schranktür schließen wollte, sah sie eine kleine hölzerne Schachtel auf dem Regal neben den Hüten. Ohne einen Moment zu zögern, holte sie sie herunter und hob den geschnitzten Deckel. Manschettenknöpfe, Nadeln, eine Uhrkette und eine Uhr. Und ein Ring. Sie schämte sich ein wenig für das, was sie da tat, dennoch untersuchte sie die Stücke. Die ausgezeichnete Arbeit und die Qualität ließen keinen Zweifel über den Wert. Dann nahm sie den schweren goldenen Onyxring heraus und untersuchte ihn genauer.
Er schien alt zu sein – ein Siegel, dessen Muster ausgespart war. Die Zeichnung würde sich nur dann deutlich zeigen, wenn sie in Wachs gedrückt wurde, aber Alethea war sicher, dass sie einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln erkannte. Ein Rabe? Ihr Herz schien stillzustehen. Sie ließ den Ring zurück in die Schachtel fallen, schloss den Deckel und stellte sie zurück auf das Regal, das alles mit einer einzigen Bewegung.
Getrieben von dem dringenden Wunsch zu gehen, trat Alethea zurück, um den Schrank zuzumachen, und stieß gegen einen menschlichen Körper.
Ihr wurde schwindelig, Furcht durchzuckte sie, und die Knie gaben unter ihr nach. Ein starker Arm umfasste ihre Taille und drehte sie herum. McHugh!
„Suchen Sie etwas, Miss Lovejoy?“, fragte er spöttisch.
„Ich – Sie.“
„Mich? Im Schrank?“ Rob warf einen Blick über ihre Schulter hinweg in die Dunkelheit und dachte über ihre Antwort nach. Natürlich log sie, aber welches andere Motiv sollte sie haben? Warum sonst sollte eine Frau wie Alethea Lovejoy das Zimmer eines Mannes aufsuchen? Konnte sie gekommen sein wegen des Verlangens, von dem er wusste, dass sie beide es empfanden? Wärme, aber auch Zweifel stiegen in ihm auf.
Etwas zögernd lächelte sie ihn an und wirkte auf reizende Weise unsicher. Entzückend verletzlich. Erfrischend unschuldig. Anhand der rosigen Flecke auf ihren Wangen ahnte er, dass sie seine Gedanken erraten hatte. Aber sie hastete nicht zur Tür. Nein, Alethea Lovejoy blieb stehen. Er bewunderte ihren Mut.
Wenn er versuchte, sich zu benehmen, warum führte Gott ihn dann so in Versuchung? Lust pulsierte in seinen Adern. War die kleine Miss Lovejoy vielleicht gar nicht auf Sicherheit aus? War sie vielleicht nicht so unschuldig, wie sie schien? War sie gekommen, um sich verführen zu lassen, und bedauerte es, ihn am vergangenen Abend abgewiesen zu haben?
Er schmunzelte. „Ein Schrank, Alethea, besäße nur dann für mich einen Reiz, wenn Sie mit mir zusammen darinnen wären.“
„Oh.“ Sie betrachtete den Saum ihres Kleides und räusperte sich. „Ich – ich kann nicht erklären, was mich bewegte, auf diese Weise bei Ihnen einzudringen, Lord Glenross. Ich …“
„Je weniger förmlich ich werde, desto förmlicher werden Sie. Ist das Ihre Reaktion auf die Freiheiten, die ich mir herausgenommen habe, Alethea?“
„Es ist nur so – so neu für mich. Gewöhnlich halte ich mich nicht in den Räumen eines Mannes auf. Das widerstrebt ganz und gar meiner Natur, und …“
Seine Stimme klang heiser. „Ganz und gar? Sind Sie da sicher?“
Sie hob den Kopf und sah ihn aus großen Augen an. Ihre Hand zitterte, als sie sie ausstreckte und seinen Ärmel berührte. Rob bemerkte, wie verlegen sie war. Konnte Alethea Lovejoy ihn wirklich begehren? Verspürte sie auch nur die Hälfte des Verlangens, das ihn fast wahnsinnig zu machen drohte? Nur ein Viertel des Erstaunens über das Wunder, so tiefe Gefühle zu empfinden? Noch nie hatte er so etwas Echtes gefühlt. Verlangen, das ja.
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