Der Kuss
hatte Lukas ja recht und es war wirklich eine Unart, an die unberechenbare Zukunft zu denken, während man gerade dabei war, die beste Jetztzeit zu haben. Vielleicht war es
wirklich
besser, er nahm was er kriegen konnte, kostete den Moment aus und beschwerte seinen Kopf nicht mit besitzergreifenden Gedanken. Vielleicht konnte Michael das. Keine Verpflichtungen, aber alle paar Tage geiler Sex. Warum sollte ihn interessieren, was Lukas sonst trieb? Sollte sein Nachbar doch Kinder haben, soviele er wollte, sich andere Kerle nehmen … solange sie
das hier
hatten … Heimlich. Zwischen Müllcontainern. Wo es erbärmlich stank und sich dauernd Fliegen auf den Schweißfilm der Haut setzten.
War es
das,
was Michael
wirklich
wollte?
Michael wand sich aus der Umarmung, stemmte sich gegen Lukas, trat ihm heftig auf den Fuß. Irritiert stolperte Lukas zurück, schüttelte sein schmerzendes Bein.
„Was ist denn los?“, wollte er wissen, und mit sorgenvollem Blick schwankte Lukas wieder auf seinen Freund zu, streckte einen Arm nach ihm aus.
„Lass mich in Ruh! Geh weg!“, fauchte Michael und schubste Lukas, diesmal mit mehr Kraft als vorhin, von sich.
Er war so zerrissen. Vor allem der bestürzte Blick seines Freundes machte ihm schwer zu schaffen. Er wollte ihn nicht wegstoßen, sondern – im Gegenteil – ihn ganz nah bei sich haben. Doch er musste ihn abweisen, weil er ihn
ganz
wollte. Warum gab es für Michael nur ein
entweder – oder?
Es war Paradox, ausgerechnet den Menschen aus seinem Leben zu treten, den er am meisten mochte, dem er näher sein wollte als allen anderen.
„Was hast du denn?“, fragte Lukas bang.
War das sein Ernst? Hatte er tatsächlich vergessen, dass er schon einen Tag, nachdem er mit Michael den ersten gemeinsamen Sex gehabt hatte, mit einem anderen ins Bett gestiegen war? Dass dieser neue
Lover
Michael ein
'komisches Kind'
genannt, und ihn mit dem blöden Pfadfinderscherz übel verspottet hatte?
„Ich fasse es nicht, dass du das überhaupt fragst!“, stieß Michael mürrisch hervor und trat, um seinem Unmut Nachdruck zu verleihen, gegen einen Müllcontainer. Lukas wirkte über diese Wut ernsthaft betroffen.
„Es ist wegen neulich, oder?“, erriet er endlich und Michael blickte verletzt zu Boden.
„Scheiße!“, fluchte Lukas und schichtete die Hände über seinem Scheitel, trat unschlüssig … getrieben hin und her. Er schnaubte und suchte nach den richtigen Worten. Als er sie gefunden zu haben schien, nahm er die Arme runter, wischte mit seinen Handflächen über die Hose und erklärte:
„Sorry, ich habe mich wirklich bescheuert verhalten. Aber, wie soll ich das erklären, … Ronny weiß nichts von uns – von
dir,
und fürs Erste ist das auch besser so. Er ist ein bisschen …
schwierig!“,
gestand Lukas und blickte Michael reumütig an.
„Ronny“, wiederholte Michael den Namen leise. Der Name passte irgendwie. Dass Lukas ihn allerdings in den Mund nahm tat weh, vermittelte das Gefühl von Intimität zwischen ihm und diesem Typen. Wie gut kannte er ihn denn? Offenbar ausreichend um zu wissen, dass er
schwierig
war. Andererseits, für jeden Lover wäre ein Konkurrent
schwierig
.
„Er wohnt für ein paar Tage bei mir. Er hat Probleme. Auch wenn er im ersten Moment etwas – rüde – wirkt, er ist wirklich liebenswert, wenn man ihn erst einmal genauer kennt“, beeilte sich Lukas zu beschwichtigen, wobei Michael nicht klar war, was ihn an dieser Information besänftigen sollte. Lukas kannte Ronny also schon länger und fand ihn –
liebenswert?
Wollte Lukas Michael verspotten? Wollte er ihm extra wehtun?
„Du hast vergessen, dass er auch
wirklich gutaussehend
ist!“, knurrte Michael bitter und seine Eingeweide brannten. Lukas' Augen funkelten auf, und ein breites Lächeln schoss in sein Gesicht.
„Allerdings! Das ist er! Ich habe mir schon gedacht, dass er dir gefallen wird“, grinste er anzüglich. Was sollte
das
jetzt? Plante Lukas einen –
Dreier?
War er völlig bescheuert?
„Arschloch!“, grunzte Michael, stieß sich von der Mauer ab und stürzte an Lukas vorbei auf das Haus zu. Er musste weg, ehe sein
geliebter Nachba
r
vielleicht sogar noch anfing Details auszubreiten, wie genau er sich das alles vorgestellt hatte.
Niemals, nie würde er Michael dazu kriegen, mit diesem –
Ronny
– ins Bett zu steigen. Nicht einen beschissenen Finger dürfte dieser schleimige Kerl an ihn legen, und wenn er der liebenswerteste und schönste Kerl der Welt wäre.
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