Der Lambertimord
ein stilisiertes schwarzes Gewehr und eine bunte Narrenkappe auf grünem Grund zu sehen waren. Unter der ungewöhnlichen Kombination waren mit Silberfäden die Worte »Freunde und Förderer des Nettetaler Brauchtums e.V.« eingestickt.
Rechts von der Tür ragte ein großer weißer Schreibtisch in den Raum, auf dem ohne erkennbare Ordnung Geschäftspapiere, Ordner und bunte Broschüren lagen. Neben dem Telefon qualmte in einem gläsernen Aschenbecher eine halb gerauchte Zigarre. Am Rande der Unordnung stand ein Bilderrahmen aus Silber neben einer Schale mit diversen Kugelschreibern und Bleistiften. Frank konnte von seinem Standort aus nur den schwarzen Rücken des Bilderrahmens sehen, vermutlich, dachte er, schmückte er ein Familienfoto.
Das Fenster hinter dem Schreibtisch ging auf den Hof hinaus. An den freien Bürowänden hingen neben einem großen Kalender mit dem Werbeaufdruck eines Nettetaler Autohauses einige kleinere Ölgemälde, die Jagdszenen am Niederrhein zeigten. Auf einem Bild flogen vor dem Hintergrund einer Kopfweidenreihe Rebhühner vor einer Hundemeute auf. Ein anderes Bild zeigte einen gefleckten Münsterländer, der aus einem Gebüsch kam und einen toten Fasan im Maul trug. Außerdem hing eine gerahmte großformatige Fotografie von Schloß Krickenbeck an der Wand.
Der weiße Schreibtisch stand neben einem schmalen Durchgang, der offenbar zu einem weiteren, ebenfalls erleuchteten Büro führte. Allerdings schien der Raum deutlich aufgeräumter zu sein als das Büro, in dem die beiden Polizeibeamten standen. Auf der nahezu leeren Schreibtischplatte steckten lediglich ein paar Kugelschreiber in einem Kaffeebecher zwischen einem PC und dem Telefon. Es war wohl das Büro der Sekretärin, vermutete Frank, die allerdings noch nicht da zu sein schien.
Hinter dem Chaos auf dem großen Schreibtisch saß ein Mann von ungefähr 65 Jahren und blätterte vornüber gebeugt in einer Zeitschrift. Er hatte eine Halbglatze mit grauem Haarkranz. Seine dicken rosigen Wangen wirkten frisch rasiert. Soweit Frank sehen konnte, trug der Mann über einem beigen Hemd eine dunkelgrüne Strickjacke mit Knöpfen aus Hirschhorn, die an den fleischigen Schultern deutlich spannte. Ein netter, gemütlicher älterer Herr, der, der teuren Kleidung nach zu urteilen, lukrativen Geschäften nachging, dachte Frank. Er wirkte auf ihn wie ein wohlhabender, behäbiger Großbauer, der sich seiner Stellung in der Nettetaler Gesellschaft sehr wohl bewußt war.
Ihm war mit einem Mal schlecht. Auch nach all den Jahren bei der Mordkommission kostete es Frank jedes Mal große Überwindung, wenn er unvorbereiteten Angehörigen eine Todesnachricht überbringen mußte. Er hatte schon alles erlebt: Schreie, Zusammenbrüche; Tobende, Stumme und Teilnahmslose – Menschen, die trotz Wut und Schmerz nicht weinen konnten. Er würde sich nie an diese Momente extremer Belastungen gewöhnen können. Wie würde van den Hövel reagieren? In wenigen Sekunden würde für diesen Mann, der ahnungslos vor ihm saß und bisher sicher mit beiden Beinen unerschütterlich fest im Leben verwurzelt war, nichts mehr auf der Welt so sein wie in diesem Augenblick. Frank würde sich und ihm liebend gerne die Nachricht vom Tod der Tochter ersparen. Er wünschte sich, einen der diensthabenden Notfallseelsorger mitgenommen zu haben, aber nun war es zu spät. Frank suchte hilfesuchend Eckis Blick.
van den Hövel hatte beim Eintreten der beiden die Zeitschrift Jagd und Hund zugeschlagen. »Guten Morgen, meine Herren. Kommen sie ruhig herein. So früh schon unterwegs? Ganz schön kalt heute, nicht? Es wird bald Schnee geben. Das sagt mir meine Nase. Es riecht nach Schnee. Na, was kann ich denn für sie tun? Bitte nehmen Sie doch Platz. Sie wollen sicher nicht nur meine Meinung zum Wetter hören.«
van den Hövel sah die Fremden geschäftsmäßig freundlich und erwartungsvoll an und deutete mit einer einladenden Handbewegung auf die beiden einfachen gepolsterten Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. Mit der anderen Hand griff er zu der Zigarre, ohne sie jedoch an den Mund zu führen. Für ihn schien es nicht ungewöhnlich zu sein, daß die ersten Kunden schon zu so früher Stunde bei ihm vorsprachen.
Frank und Ecki kamen näher, blieben aber stehen. »Ich vermute, Sie sind Toni van den Hövel, der Inhaber dieses Betriebes?« Frank sah sein Gegenüber aufmerksam und fragend an.
»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?« van den Hövel musterte erst Frank und dann
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