Der Lambertimord
einem gesonderten Tisch saß der Aktenführer und sortierte Zettel. Neben ihm stand ein Telefon. Mehrere Tische mit heller Kunststoffoberfläche waren zu einer großen Konferenzrunde zusammengeschoben. Dort saßen nur Frank und Ecki. Beide hatten ein Telefon an ihrem Platz und jeder einen halbleeren Kaffeebecher vor sich stehen. Außerdem lagen einige Aktendeckel aufgeschlagen vor ihnen. Erst vor gut einer Stunde waren die Möbel aufgestellt und die Telefone angeschlossen worden. Der Raum sah nicht sonderlich sauber aus. Er war staubig, die große Fensterfront, die auf den Markt hinausging, war schon lange nicht mehr geputzt worden.
Im breiten Treppenhaus stand Gerümpel. Irgendjemand hatte einen Bürostuhl stehen lassen, dessen blauer Bezug an vielen Stellen dünn und fast durchgescheuert war. Die Toiletten rochen muffig, genauso die ehemalige Teeküche neben dem Ratssaal. In den Schränken hatten Frank und Ecki vergeblich nach Tassen oder Bechern gesucht. Zum Glück funktionierte die Wasserversorgung noch, sodaß sie sich Kaffee hatten kochen können, nachdem die Kollegen mit der Ausstattung für die Sonderkommission angerückt waren. Sie hatten natürlich die Kaffeemaschine als erstes aufgestellt. Das wohl wichtigste Hilfsmittel bei der Aufklärung von Straftaten, wie der Polizeipräsident bei jeder Gelegenheit gerne leutselig seinen Gästen erzählte.
Der große Raum im ersten Stock des leeren Breyeller Rathauses wirkte auf Frank nicht sonderlich anheimelnd. Nicht, daß er etwas anderes erwartet hätte, die Provisorien vor Ort für die Mordkommissionen waren nie sonderlich gastlich. Aber diesmal war es anders. Er kam sich in dem weiten Raum verlassen vor. In den vergangenen Tagen hatte er wenig an Lisa gedacht, dafür war ihm bei den Ermittlungen in Sachen Heike van den Hövel und Masuhr auch wenig Zeit geblieben. Außerdem war er wieder bei den Proben gewesen, die ihn wenigstens abgelenkt hatten. Das war auch ganz gut so. Denn Lisas Verhalten tat ihm immer noch sehr weh.
Frank sah sich im ehemaligen Ratssaal um und fand dennoch keinen Halt. Er hatte solche Sehnsucht nach ihrer Nähe, nach ihrem Lachen und dem Geruch ihrer Haut. Er konnte sich einfach nicht auf seine Ermittlungsarbeit konzentrieren. Das war nicht gut, denn nun hatte er zwei Morde am Hals. Und noch nie hatte er das Gefühl gehabt, daß ihm seine Arbeit so gleichgültig war wie dieses Mal. Ein gefährliches Gefühl, von dem er sich unbedingt freimachen mußte. Ansonsten würde er die beiden Fälle nie lösen. Seine Sehnsucht nach Lisa machte ihn nachlässig.
»Komm, Ecki, laß uns drüben bei Schluhn einen Kaffee trinken. Hier werde ich noch trübsinnig. Ich weiß gar nicht, wie die Politiker hier in diesem Mief früher überhaupt diskutieren und zu Beschlüssen kommen konnten. Ich jedenfalls kann hier nicht nachdenken.«
»Wer sagt dir denn, daß Politiker denken?«
»Auch wieder wahr.«
Die beiden wollten gerade ihre Becher in der Spüle der Teeküche abstellen, als ihnen ein Kollege in Uniform, den sie nicht kannten, einen Schnellhefter in die Hand drückte. »Das soll ich Ihnen geben. Ist von der Gerichtsmedizin.« Er verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken.
»Danke.« Frank nahm den Hefter mit, als sie die breite Treppe hinunter zum Ausgang gingen. Draußen waren alle Parkplätze vor dem Einkaufsmarkt besetzt. Im Wartehäuschen an der Bushaltestelle hockten ein paar Jugendliche auf der schmalen Bank und hatten Skateboards vor sich liegen. Interessiert beobachten sie die beiden Männer auf dem kurzen Weg vom Rathaus bis zum Café.
Frank ging rechts die kleinen Stufen hinauf, die vom Eingang in den in blau und schwarz dekorierten Raum führten, und suchte sich einen Platz am Fenster. Trotz Kaffeezeit waren nur zwei weitere Tische besetzt. Gegenüber Frank und Ecki saßen drei Frauen und bekamen gerade jeweils ein großes Stück Sahnekuchen und ein Kännchen Kaffee. Alle drei waren schon weit jenseits der fünfzig und hatten ihre Haare sorgsam toupiert. Ein Besuch im Café war in Breyell offenbar noch so etwas wie ein gesellschaftliches Ereignis. Zumindest für das gediegen wirkende Damenkränzchen, dachte Frank.
Das Trio trug Rock und Wollpullover in aufeinander abgestimmten, gedeckten Farben, dazu lange Gold- oder Perlenketten und Seidentücher, die sie locker um die Schultern gelegt hatten. Die Wortführerin der drei war etwas jünger als ihre beiden Zuhörerinnen. Frank konnte sehen, daß sie an jeder Hand drei dicke Ringe trug.
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