Der Landarzt (German Edition)
verleiht.
Diese fünf Jahre bilden in meinen Augen die jungen Jahre des gedeihlichen Lebens unseres Fleckens,« fuhr der Arzt nach einer Pause fort. »Während dieser Zeit hatte ich in den Köpfen und Ländereien alles urbar gemacht und zum Keimen gebracht. Die fortschreitende Bewegung der Bevölkerung und der gewerblichen Tätigkeit konnte fortan nicht mehr aufgehalten werden. Ein zweites Alter bereitete sich vor. Bald wünschte die kleine Welt sich besser zu kleiden. Ein Krämer kam zu uns, mit ihm der Schuster, Schneider und Hutmacher. Dieser Beginn des Luxus trug uns einen Fleischer und einen Spezereiwarenhändler ein, dann eine Hebamme, die mir recht not tat; ich verlor ja eine beträchtliche Zeit mit den Entbindungen. Das Neubruchland brachte ausgezeichnete Ernten. Dann wurde die hervorragende Qualität unserer landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch die Düngemittel und die Mistmengen, die man der anwachsenden Bevölkerung verdankte, unterstützt.
Mein Unternehmen konnte sich nun mit all seinen Konsequenzen entwickeln. Nachdem ich die Häuser gesünder gemacht und die Einwohner schrittweise dahingebracht hatte, sich besser zu ernähren und besser zu kleiden, wollte ich, daß auch die Tiere diesen Zivilisationsbeginn verspürten. Von der den Tieren gewidmeten Sorgfalt hängt die Schönheit der Rassen und der Individuen ab, demgemäß auch die der Produkte: ich predigte also die Sanierung der Ställe. Durch den Vergleich des Nutzens, den ein gut untergebrachtes, gut gehaltenes Tier bringt, mit dem mageren Ertrag eines schlecht gepflegten Haustiers veränderte ich unmerklich die Lebensweise des Gemeindeviehs: kein Tier hatte mehr zu leiden. Kühe und Ochsen wurden gepflegt, wie sie es in der Schweiz und in der Auvergne werden. Die Schaf-, Pferde- und Kuhställe, die Milchkammern und Scheunen wurden nach dem Muster meiner und Monsieur Graviers Stallungen, die groß, gut durchlüftet und infolgedessen gesund sind, umgebaut. Unsere Pächter waren unsere Apostel; schnell bekehrten sie die Ungläubigen, indem sie ihnen die Güte meiner Vorschriften durch prompte Resultate bewiesen. Was die Leute anlangte, denen es an Geld fehlte, so lieh ich ihnen solches, indem ich besonders die armen Gewerbetreibenden begünstigte; sie dienten als Beispiel. Auf meine Ratschläge hin wurden fehlerhafte, schwache oder mittelmäßige Tiere verkauft und durch schöne Exemplare ersetzt. So überflügelten nach einer gewissen Zeit unsere Erzeugnisse auf den Märkten die aller anderen Gemeinden. Wir haben prachtvolle Herden und infolgedessen gutes Leder. Dieser Fortschritt war von hoher Wichtigkeit. Und zwar deswegen: In der ländlichen Oekonomie ist nichts ohne Bedeutung. Ehedem wurden unsere Baumrinden um einen Spottpreis verkauft und unsere Leder hatten keinen großen Wert; als unsere Baumrinden und Leder erst einmal verbessert worden waren, erlaubte der Fluß uns Lohgerbereien zu bauen, Lohgerber kamen zu uns, deren Handel schnell zunahm. Wein, der ehedem unbekannt im Flecken war, wo man nur Tresterweine trank, wurde naturgemäß ein Bedürfnis. Schenken wurden aufgemacht. Dann hat sich die älteste der Schenken vergrößert, sich in eine Herberge umgewandelt und versorgt die Reisenden, die anfangen, unseren Weg zu nehmen, um nach der Grande-Chartreuse zu gehen, mit Maultieren. Seit zwei Jahren haben wir einen Handel, der bedeutend genug ist, um zwei Herbergswirten Lebensunterhalt zu verschaffen.
Bei Beginn der zweiten Periode unseres Aufschwungs starb der Friedensrichter. Zu unserem großen Glück war sein Nachfolger ein ehemaliger Notar aus Grenoble, der sich durch eine falsche Spekulation ruiniert hatte, dem aber noch Geld genug blieb, um im Dorfe reich zu sein. Monsieur Gravier wußte ihn zu bestimmen, hierherzukommen; er hat sich ein hübsches Haus gebaut, hat meine Bemühungen unterstützt, indem er die seinen damit verband; hat einen Pachthof aufführen lassen, Heideland urbar gemacht und besitzt heute drei Sennhütten im Gebirge. Seine Familie ist zahlreich. Den ehemaligen Kanzlisten und den alten Gerichtsvollzieher hat er fortgeschickt und sie durch Männer ersetzt, die sehr viel unterrichteter und vor allem viel betriebsamer als ihre Vorgänger sind. Die beiden neuen Haushaltungen haben eine Kartoffelbrennerei und eine Wollwäscherei gegründet, zwei sehr nützliche Unternehmen, welche die Oberhäupter dieser beiden Familien neben ihren Berufen leiten. Nachdem ich der Gemeinde Einkünfte verschafft hatte, verwandte ich sie
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