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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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Friede‹, hat der deutsche Philosoph Schopenhauer einmal sehr treffend gesagt.« Seine Stimme bekam einen anbiedernden Klang. »Und der Friede in dieser Abteilung ist jetzt durch LaBréa erheblich gestört, das wurde uns allen soeben lebhaft demonstriert. Dagegen wird Abhilfe geschaffen, das verspreche ich Ihnen. Aber wir hängen es nicht an die große Glocke!«
    Er warf einen letzten, bedeutungsvollen Blick in die Runde und rauschte hinaus.
    »Dieser Dreckskerl!«, knurrte Franck. »Der denkt doch wohl nicht, dass wir auf seiner Seite stehen?«
    »Warum nicht?«, sagte Claudine sarkastisch. »Bei dem wenigen Einfühlungsvermögen und seiner mangelnden Menschenkenntnis wäre ihm das zuzutrauen.«
    »Der will den Chef die ganze Zeit schon fertigmachen«, meinte Jean-Marc. »Und er meint, jetzt hat er ihn endlich am Wickel.«
    Claudine erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl.
    »Es ist reine Schikane, weiter nichts. Ich sehe mal nach, wo er ist.«
    Sie verließ den Raum.
    Nachdem LaBréa aus seinem Büro gestürmt war, ging er zunächst auf die Toilette. Ein Blick in den Spiegel über dem Waschbecken zeigte ihm, dass sein Kopf hochrot angelaufen war. Er schüttete sich einige Handvoll Wasser ins Gesicht und spürte, wie der Kloß in seinem Hals immer dicker wurde. Sein Zorn war verraucht. LaBréa fühlte sich völlig ausgelaugt, verzweifelt und den Tränen nahe. Selten in seinem Leben hatte er eine solche Ohnmacht empfunden. Er bangte um das Leben von Céline, und Thibon zeigte nicht das geringste Verständnis für die Situation, in der LaBréa sich befand. In welcher Welt leben wir bloß?, dachte er voller Bitterkeit. In einer Gesellschaft, in der man immer und zu jeder Zeit funktionieren und zur Verfügung stehen muss, ganz gleich, was geschieht. In der kein Platz ist für Menschlichkeit, für ein verständnisvolles Miteinander, für Moral und ungeschriebene Gesetze. Gab es einen typischeren Vertreter für den Verlust dieser Werte als Direktor Thibon? LaBréa wusste, dass das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vorgesetzten nun endgültig zerrüttet war. Im Zorn hatte er sich in seinem Büro zu Worten hinreißen lassen, die Thibon vor allen Anwesenden bloßstellten. Das würde ihm der Direktor niemals verzeihen.
    Nachdem er sich das Gesicht mit einem Papierhandtuch abgetupft hatte, verließ er die Toilette. Auf dem Korridor trat er zu einem der Fenster, die auf den Innenhof des Präsidiums führten. Dort fuhren Polizeifahrzeuge vor, es war ein ständiges Kommen und Gehen. Der Himmel hing wie ein schmutziges Brett über der Stadt. Es regnete nicht mehr, doch in der düsteren Stimmung fühlte LaBréa sich gänzlich verloren. Gern hätte er jetzt seine Tochter angerufen, ihre frische, vertraute Stimme gehört. Doch er unterdrückte diesen Wunsch aus der Befürchtung heraus, dass Jenny am Klang seiner Stimme hören könnte, dass er Sorgen und Probleme hatte. Eines war für ihn immer oberstes Gebot gewesen, seit er mit Jenny nach Paris gezogen war: Sorgen und Probleme möglichst von ihr fernzuhalten.
    Auf dem Gang hörte er Schritte, die sich näherten. Er drehte sich nicht um. Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
    »Chef?« Es war die Stimme von Claudine. »Wenn ich irgendwas für Sie tun kann? Ich weiß, wie Ihnen zumute ist. Franck und Jean-Marc wissen das auch. Ich wollte nur sagen, Sie können auf uns zählen.«
    Langsam wandte LaBréa sich ihr zu.
    »Der Schöngeist ist abgerauscht«, fuhr Claudine fort. »Wenn es wirklich zu einem Disziplinarverfahren kommt, sagen wir alle für Sie aus.«
    »Danke, Claudine.« Er ergriff kurz ihre Hand und drückte sie. »Kommen Sie, wir gehen zurück in mein Büro. Wir haben einen Mordfall aufzuklären, und die Talkrunde ist noch nicht zu Ende. Und solange ich mein Kündigungsschreiben nicht in der Hand halte, bin ich weiterhin im Dienst.« Galgenhumor, dachte LaBréa. Manchmal hilft er einem, wieder einigermaßen in die Spur zu kommen.
    Kaum waren sie zurück, klingelte das Telefon auf LaBréas Schreibtisch.
    »Ja?«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Moment Stille. Dann sagte eine Stimme, die LaBréa inzwischen nur allzu vertraut war: »Ich will zweihunderttausend Euro, gleich morgen früh. Und zwar in Fünfhunderterscheinen ohne fortlaufende Nummerierung. Das macht vierhundert Scheine. Dann lass ich die Tussi laufen. Wann genau und wo, sag ich dir noch.« Der Anrufer legte auf.

14. KAPITEL
    Er ging zurück zur Métrostation Hôtel de Ville. Sie befand sich weit

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