Der lange Schatten
fragte LaBréa. »Der Junge war doch damals gerade dreizehn Jahre alt.«
»Er kam ins Heim. Blieb dort, bis er fünfzehn war. Danach verliert sich seine Spur für einige Zeit. Erst seit er vor einem Jahr nach Paris kam, taucht sein Name wieder auf.«
Franck meldete sich zu Wort.
»Was die Waffe betrifft, habe ich recherchiert. Es handelt sich, wie schon gesagt, um eine Glock 21. Vor vier Monaten wurde nachts in ein Waffengeschäft in Orléans eingebrochen. Der oder die Täter erbeuteten mehrere Handfeuerwaffen, darunter auch eine Glock 21. Die Sache wurde bisher nicht aufgeklärt.«
»Solange wir die Waffe nicht haben, gibt’s keinen Beweis dafür, dass sie bei diesem Raub erbeutet wurde. Der Mörder kann sie sich ebenso gut auf dem Schwarzmarkt besorgt haben. Da kriegt man heutzutage alles. Haben Sie mit dem Hausbesitzer telefoniert?«
»Hab ich, Chef. Der ist mir sofort ziemlich unverschämt gekommen. Er war sauer, weil Sie heute Mittag so plötzlich verschwunden sind, obwohl er extra Ihretwegen zu Hause geblieben war!«
»Er wird’s überleben, Franck. Und? Irgendwas erfahren?«
»Nicht viel. Angeblich kannte er seinen Mieter kaum.«
»Das Gegenteil können wir ihm vorerst nicht beweisen. Nehmen Sie ihn mal unter die Lupe.«
»Hab ich bereits gemacht, Chef. Abgesehen davon, dass er in den letzten Jahren mehrere Klagen von Mietern wegen Kündigungen am Hals hatte, ist er nie auffällig geworden. Die Klagen hat er übrigens allesamt gewonnen.«
LaBréa ging zu seinem Schreibtisch und wählte die Nummer der Gerichtsmedizinerin.
»Brigitte? Ich bin’s.«
»O Gott, wie geht es dir, Maurice? Hat man Céline schon gefunden?«
»Nein, bisher noch nicht. Ich kann im Moment nichts weiter tun, als abwarten und mir den Kopf mit Arbeit zuknallen.«
»Schrecklich. Ich kann mir denken, wie du dich fühlst! Vorhin, als ich bei der Bank ankam, warst du schon weg. Ich habe gerade die Leichen der beiden erschossenen Geiseln auf dem Tisch. Beides glatte Durchschüsse.«
»Nur interessehalber, Brigitte: Hat das SEK Projektile und Geschosshülsen in der Bank gefunden?«
»Leider nicht. Der Geiselnehmer muss beides mitgenommen haben. Die anderen Geiseln haben gesehen, wie er im Schalterraum herumgesucht hat, bevor er mit Céline die Bank verließ.«
»Ein cleverer Typ«, sagte LaBréa nicht ohne Bitterkeit in der Stimme. »Wesentlich gerissener als der Täter heute Morgen in der Rue Masillon!«
»Ja, und deshalb wird es mit der Bestimmung von Kaliber und Waffentyp erst mal schwierig bei den beiden Morden in der Bank, solange der Mann nicht gefasst wird. Soll ich dir Bescheid geben, wenn wir heute Nacht mit den Autopsien fertig sind?«
»Morgen früh reicht mir. Ich bin ja nicht mit den Ermittlungen in diesem Fall befasst. Hier ist Lecontes vorgesetzte Dienststelle am Zug. Sag mir lieber, was du bei diesem Luc Chambon noch alles rausgefunden hast.«
»Interessante Dinge, Maurice. Todesursache war eine Verletzung der rechten Herzkammer. Aber jetzt kommt’s: Ich habe Chrystal Meth in seinem Körper nachweisen können. Und zwar sowohl im Blut als auch im Urin. Der Mann hat Drogen genommen.«
»Regelmäßig?«
»Ich bin noch dabei, das rauszufinden. Wir machen eine Gaschromatografie von einem Haarstrang, das übliche Verfahren beim HC04-Drogentest. Dann kann ich dir genau sagen, wie lange der Mann schon Drogen nahm. Eins steht allerdings jetzt schon fest: Er hat sich das Zeug nicht gespritzt, sonst hätte ich Einstichspuren gefunden.«
LaBréa bedankte sich bei Brigitte und fasste das Gespräch für seine Mitarbeiter zusammen.
»Irgendwoher muss er sich den Stoff ja besorgt haben«, meinte Claudine.
»Vielleicht durch direkten Kontakt zu irgendeiner kleinen Laborklitsche? Die schießen doch im Moment überall wie Pilze aus dem Boden«, erwiderte Franck. »In Hinterzimmern, alten Fabrikgebäuden, und so weiter. Um das Zeug herzustellen, braucht man nur geringe Chemiekenntnisse und die entsprechenden Zutaten. Meth ist billiger als Crack und kann sehr schnell produziert werden.«
»Und es gibt verschiedene Methoden, es zu konsumieren«, bemerkte Jean-Marc ergänzend. »Man kann es sich, wie gesagt, in die Vene spritzen, aber auch oral einnehmen, aus einer Glaspfeife rauchen oder wie Koks schnupfen. Crystal Meth macht extrem süchtig, und die Nebenwirkungen sind wahnsinnig.«
»Woher hatte er das Zeug?«, fragte LaBréa. »Wenn wir da ein Stück weiterkommen, könnte uns das vielleicht zu seinem Mörder führen.
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