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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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entschädigte ihn ein wenig dafür, dass er selbst in seinem Leben reichlich Angst gehabt hatte, in seiner Jugend und auch später, als die Bullen ihm dicht auf den Fersen waren und ihn beinahe geschnappt hätten. Wochenlang hatte er in einem Rattenloch ausgeharrt, bevor er dem Süden den Rücken kehrte und alles, was dort geschehen war, abschüttelte. Die Angst hatte ihn erst verlassen, als er in Paris ankam. Nun war der Bulle an der Reihe, sich vor Angst in die Hosen zu scheißen. Im Leben glich sich eben alles aus.
    Auf dem Bahnsteig war er der einzige Fahrgast. Der Métrozug kam nach wenigen Minuten, einer der Letzten, die jetzt noch fuhren. Das kümmerte ihn nicht, denn nach dieser Fahrt würde er die Métro in dieser Nacht sowieso nicht mehr benutzen.
    An seiner gewohnten Haltestelle stieg er aus und ging Richtung Sackgasse. Noch bevor er in sie einbog, sah er zwei Fahrzeuge, die den Zugang blockierten. Bullenautos, mit blinkenden Blaulichtern. Er war aufs Höchste alarmiert. Was war passiert? Der Bauwagen!, schoss es ihm im nächsten Moment durch den Kopf. Doch wie hätten die Bullen darauf kommen sollen? Das war nahezu ausgeschlossen! Der Stoff, den er am Abend gesnifft hatte, jagte mit vollem Tempo durch seine Adern.
    Er machte kehrt und rannte im Schatten der Hauswand davon, damit die Bullen nicht auf ihn aufmerksam wurden. Es gab noch einen anderen Zugang zu dem verlassenen Baugelände. Er lief durch einige dunkle Straßen und näherte sich dem Areal von der nördlichen Seite her. Hier wucherte dichtes Buschwerk, eine gute Deckung. Vorsichtig kroch er durch die Zweige und befand sich bald etwa zwanzig Meter hinter dem Bauwagen. Rechts unter den Bäumen stand der alte Peugeot. Niemand war auf dem Gelände. Die Silhouette des Bauwagens hob sich vom nachtblauen Himmel ab. Die Wolkendecke war aufgerissen, man sah die ersten Sterne, aber es schien kein Mond.
    Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Wenn die Bullen sich nicht auf dem Baugelände befanden, gab es nur einen Grund, warum sie gekommen waren.
    Er wandte sich von dem Bauwagen ab und bewegte sich wieder in Richtung Sackgasse, wobei er erst unter den Bäumen und dann hinter den Mauern der Bauruinen Deckung suchte. Als er sich der Straße näherte, hörte er Stimmen, laute Befehle. In den Pfützen nahe der Sackgasse spiegelte sich das Blaulicht weiterer Bullenwagen. Ein Beweis dafür, dass sie das letzte Haus in der Sackgasse ins Visier genommen hatten.
    Er versteckte sich in einem der Rohbauten, der ganz nah am Geschehen lag. Nach etwa fünf Minuten hörte er, wie Wagentüren geschlagen wurden und Autos starteten. Im Spiegel der Pfützen entschwanden die Blaulichter rasch, dann herrschte Stille.
    Kein Zweifel, die Bullen hatten Yannicks Labor ausgehoben. Irgendjemand musste denen einen Tipp gegeben haben. Er atmete auf. Da war er gerade noch einmal davongekommen. Die Bullen hatten sich auf ihre Razzia konzentriert und nicht die leiseste Ahnung davon gehabt, welcher Fund ihnen, wenige Schritte vom Abbruchhaus entfernt, durch die Lappen gegangen war! Er grinste breit. Doch sogleich fiel ihm ein, dass er nun mit einem Schlag seine günstige und bequem zu erreichende Bezugsquelle verloren hatte. So eine Scheiße! Hätte Yannick ihm doch bloß am Abend noch was geliefert! Aber dieser Idiot hatte ihn abblitzen lassen. Jetzt saß Yannick selbst ganz tief drin. Die Bullen würden ihn in die Mangel nehmen, und vielleicht schlugen sie ihm einen Deal vor: Namen gegen Strafnachlass.
    Trotzdem, er hatte nichts zu befürchten. Yannick kannte nur seinen Vornamen. Keine Adresse, keine weiteren Einzelheiten. Und mit der Kohle, die er morgen früh bekommen würde, konnte er sich überall mit Stoff eindecken.
    Er verließ sein Versteck und ging mit raschen Schritten zur Sackgasse. Wie dunkle Höhlen wirkten die zerschlagenen Fenster im Erdgeschoss der Abbruchbude. Am Abend, als er Yannick aufgesucht hatte, waren die Scheiben noch intakt gewesen. Auch von hier aus waren die Bullen also ins Haus gedrungen. Yannick hatte keine Chance gehabt. Vielleicht schlief er schon, und der Überraschungscoup der Drogenfuzzis war voll gelungen.
    Vor ihm lag das düstere Baugelände, und der Wagen war gut hinter dem Buschwerk getarnt, als hätte die Nacht ihn für immer verschluckt.
    Es wurde Zeit, zu handeln. Vor wenigen Augenblicken hatte er unheimliches Glück gehabt, dass das Versteck nicht entdeckt worden war. Doch sein Glück durfte man nicht überstrapazieren. Er würde noch

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