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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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grenzenlos, dass sie die Beherrschung verlor.
    »Was sind Sie nur für ein Scheusal!«, stieß sie hervor, und die Zornesröte stieg ihr ins Gesicht. »Macht es Ihnen solchen Spaß, Menschen zu quälen, sie zu erniedrigen, mit ihnen zu spielen?« Ihre Stimme wurde lauter, sie schrie ihn beinahe an. »Was habe ich Ihnen denn getan? Und wofür wollen Sie sich am Commissaire rächen? Denn darum geht’s Ihnen doch: um einen Rachefeldzug! Und mich benutzen Sie dazu. Sie sie sind, Sie sind …« Céline hielt inne und drehte den Kopf zur Seite. Sie durfte nicht aussprechen, was sie dachte. Ihr war klar, dass sie sich hier um Kopf und Kragen redete.
    Er hatte ihren verbalen Ausbruch mit regungsloser Miene verfolgt. Dann sagte er gefährlich leise: »Bist du fertig mit deiner Moralpredigt? Du kannst dir deine Worte sparen. Sie ändern sowieso nichts an meinen Plänen.«
    »An Ihren Mordplänen, meinen Sie?«, entfuhr es Céline erneut. Sie konnte sich einfach nicht zurückhalten. »Denn das sind Sie doch: ein Mörder, ein feiger Mörder, zu feige, um es mit dem Commissaire Auge in Auge aufzunehmen!«
    Er lachte laut auf. »Auge in Auge mit dem Bullen? Das war schon damals nicht so. Auge in Auge, das gab’s nie! Leider, kann ich nur sagen! Ich hatte nämlich nur indirekt das Vergnügen mit ihm. Doch jetzt hat ein gütiges Schicksal ihn mir in Paris auf dem Silbertablett serviert. Und zwar durch dich, seine neue Tussi!«
    Er schob den Stuhl zurück, zog den Schlüssel aus der Tasche und verließ lachend den Bauwagen.
    Wie gelähmt hockte Céline auf ihrem Stuhl. Was hatte dieser Kerl da gerade gesagt? Fieberhaft dachte sie nach. Wie sollte sie seine Worte deuten? Für einen Moment stockte ihr der Atem, denn plötzlich stieg ein schrecklicher Verdacht in ihr hoch. Mit einem Schlag ahnte sie, woher Freddy Ruiz, falls er so hieß, LaBréa kannte! War das möglich? Gab es solche Zufälle? Und – ahnte LaBréa inzwischen ebenfalls, wer der Mann war?
    Die Schritte entfernten sich. Kurz darauf hörte Céline unter dem Bauwagen ein Geräusch. Einen Kratz- oder Schabelaut. Eine Katze? Ein Hund? Angestrengt lauschte sie. Erneut keimte Hoffnung auf. Céline beugte sich auf ihrem Stuhl nach unten und rief so laut sie konnte: »Hallo, ist da jemand? Hilfe! Bitte helfen Sie mir!«
    Niemand antwortete. Die Tränen schossen Céline in die Augen, und sie begann hemmungslos zu schluchzen.
    Simon Four litt seit Jahren unter Schlafstörungen. Das hatte dazu geführt, dass er relativ spät zu Bett ging, um wenigstens einige Stunden durchzuschlafen. Mehr als vier, fünf Stunden waren es nie. Er hatte sich daran gewöhnt, und gegenüber Dritten brüstete er sich gern damit, dass er seine Lebenszeit nicht mit zu viel Schlaf vergeudete. Gegen die bleierne Müdigkeit am Morgen halfen drei Tassen starker Kaffee und ein früher Arbeitsbeginn. Meist erschien er bereits gegen acht in seinem Büro, ein Abteilungsleiter, der noch vor seiner Sekretärin ins Haus kam. Nach der Scheidung von seiner Frau Julia hatte er seinen täglichen Gang ins Büro kurzfristig auf sieben Uhr dreißig verlegt. Doch wenig später pendelte sich der alte und vertraute Rhythmus wieder ein.
    Die Scheidung hatte nicht nur zur Aufteilung des gemeinsamen Haushaltes und des Barvermögens der Eheleute Four geführt. Auch die beiden Kinder, Antoinette und Raphaël, waren jeweils einem Elternteil zugesprochen worden. Der fünfzehnjährige Raphaël lebte bei Simon, die dreizehnjährige Antoinette bei ihrer Mutter. Hin und wieder traf sich die ganze Familie am Wochenende zum Essen. Julia hatte Simon seinen Ehebruch, den Grund für die Scheidung, nicht verziehen. Als Frau mit Prinzipien trennte sie sich sofort von ihm. Dennoch schafften es beide, nach der Scheidung freundschaftlich verbunden zu bleiben. Es gab keinen Rosenkrieg, kein Geschacher um materielle Werte und kein hässliches Waschen schmutziger Wäsche. Auch die Geschwister verstanden sich gut.
    Die Beziehung zwischen Simon und der Frau, mit der er Julia betrogen hatte, ging kurz darauf in die Brüche. Danach gab es einige flüchtige Liebschaften, nichts Ernsthaftes. Mit seinem Sohn kam er gut aus, abgesehen davon, dass er ein Internet-Junkie war und Simon keine Kontrolle darüber hatte, was er alles im Netz konsumierte. Verhindern konnte er das als Vater ohnehin nicht. Entscheidend war, dass die schulischen Leistungen seines Sohnes nicht litten, und das hatte Simon bisher nicht feststellen können.
    Auch in dieser Nacht stand

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