Der Lange Weg Des Lukas B.
auch.«
Der alte Mann säuberte den Fisch und sagte: »Ich vertrete mir ein bisschen die Beine, Luke. Später bringe ich neue Köderfische mit. Sieh zu, dass du etwas fängst. Wo ein Barsch ist, da sind auch mehrere.«
Er ging über das Eis dem Ufer zu.
Der Junge kehrte zu seinem Eisloch zurück und löste die Schnur von dem Stock. Seine Mutter hatte ihm dicke Wollhandschuhe gestrickt. Nach seiner Anweisung fehlten die Spitzen des Daumens und des Zeigefingers. »Ich habe dann mehr Gefühl für die Angelschnur«, hatte der Junge gesagt. Er hielt die Pferdehaare ganz lose zwischen den Fingern. In großen Schlingen sorgfältig ausgebreitet, lag das Ende der Schnur auf dem Eis. Wenn der Junge am Eisloch saß, dann hatte in seinem Kopf kein anderer Gedanke Platz als der an den Fisch, nicht einmal der an Lisa Warich. Er nahm kaum wahr, was um ihn herum geschah, sah nur den Wasserspiegel und sein Gerät. So entging ihm auch ein leises, ungewöhnliches Zucken nicht, das fremd durch die Schnur zitterte. Er wagte kaum zu atmen. Das war nicht die Bewegung der geköderten Karausche. War es ein Fisch? Ein großer Fisch vielleicht? Doch nicht das geringste Zupfzeichen deutete in den nächsten Minuten an, dass ein Fisch angebissen hatte.
Vielleicht hat sich nur die Karausche wild bewegt, dachte der Junge. Aber dann glitt ihm die Schnur schnell durch die Hand und er wusste, das war ein Anbiss.
Es dauerte lange, bis die Schnur für einen Augenblick zur Ruhe kam. Dann wurde sie weiter von der unsichtbaren Kraft ins Wasser gezogen, schnell und ohne Zuckeln. Besorgt sah der Junge, wie Schlaufe um Schlaufe der Schnur ablief und es bis zu ihrem Ende nur noch wenige Meter waren.
Er reißt mir die ganze Leine weg, dachte der Junge. Ich muss bald anschlagen. Er drehte die Schnur zweimal um seinen Handschuh und schleuderte seinen Arm so hoch er konnte. Es war ihm, als habe er den Haken auf dem Grunde des Sees in einen Baumstamm gerammt.
»Großvater«, schrie der Junge. Doch von dem alten Mann war weit und breit nichts zu sehen. Er war hinter der Landzunge verschwunden.
Die Schnur straffte sich. Die Wassertropfen zerstoben zu kleinen Perlen und sprühten von den Pferdehaaren. Wie eine Bogensaite spannte sich die Schnur. Es kam dem Jungen wie eine Ewigkeit vor, wie er dort stand, die Beine weit gespreizt, unfähig die Schnur auch nur zehn Zentimeter herauszuziehen, ohne sie zu zerreißen. Am anderen Ende der Schnur rührte sich nichts. Hatte sich der Haken irgendwo auf dem Grunde des Sees festgespießt? Es dauerte eine Weile, bis der Junge aus der Ungewissheit befreit wurde. Die Schnur wurde mit einem Male schlaff und er konnte sie Zug um Zug einholen. Er achtete darauf, dass sie in großen Schleifen auf das Eis fiel, und das war gut so; denn plötzlich zog der Fisch wieder davon und es brannten dem Jungen die Finger von der hindurchschießenden Schnur. Er vermochte den Fisch nicht zu halten. Da wusste der Junge, dass er einen großen Fisch am Haken hatte. Alle Aufregung fiel von ihm ab und das Zittern in seinen Knien verebbte. Er war jetzt froh, dass der alte Mann nicht in der Nähe war. Mit kühlem Kopf tat er, was er schon hundertmal im Halbschlaf und in Träumen getan hatte. Er kämpfte mit dem Fisch, zog die Leine ein, wenn sie schlaff wurde, gab geschmeidig nach, wenn der Fisch zerrte, achtete darauf, dass die Schnur der Eiskante fernblieb und sich an den scharfen Bruchstellen nicht durchscheuern konnte, schob mit dem Fuß den großen Käscher näher heran, fühlte, als der Fisch sich eine Weile ruhig gegen seine Kraft stemmte, mit der Hand nach dem Messer im Gürtel, spähte nach dem Beil, das er benutzen wollte, wenn es ein ganz großer Fang war. Allmählich spürte er, wie der Fisch ermattete. Seine Züge wurden kürzer, die Pausen länger. Schließlich holte der Junge Armlänge um Armlänge die Schnur ein und es war ihm, als ob der Fisch mit einem Male alle Kraft verloren hätte. Nur das Gewicht spürte der Junge in den Armen.
Er machte große Augen, als er den Fisch dicht unter die Oberfläche des Wassers gezogen hatte. Noch niemals zuvor hatte der Junge einen so gewaltigen Hecht gesehen. Er legte die Schnur auf das Eis und trat mit seinem Stiefel darauf. Die weiße Bauchseite nach oben gekehrt, schwebte der Fisch im schwarzen Kreisrund des Eisloches. Der Junge fasste den Käscher fest mit beiden Händen und stülpte den Netzsack über den Kopf des Fisches. Ein letzter, harter Schlag des Schwanzes peitschte das Wasser
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