Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
entgegnete sie, zeigte aber keine Besorgnis. »Hast du sie heute Abend gesehen?«
»Ja.« Die hübsche blonde Frau vergaß Gabriellas Erklärung, sie dürfe sich nicht vor den Gästen zeigen. Das hatte Marianne nicht ernst genommen. Wer konnte einen so süßen kleinen Engel verstecken? Doch Marianne kannte Eloises wahren Charakter nicht. »Sie sah so rührend aus, als sie bei unserer Ankunft am Treppenabsatz saß, in ihrem rosa Nachthemd. Da lief ich hinauf, gab ihr einen Kuss, und wir unterhielten uns ein bisschen.«
»Tut mir Leid, das hätte sie nicht tun dürfen«, entschuldigte sich Eloise, als hätte das Kind ein Verbrechen begangen. Nach ihrer Ansicht war das tatsächlich geschehen, denn Gabriella hatte die Aufmerksamkeit der Gäste erregt – in den Augen ihrer Mutter eine unverzeihliche Sünde.
Das konnte Marianne natürlich nicht ahnen. »Es war meine Schuld. Weil sie zauberhaft aussah, konnte ich ihr einfach nicht widerstehen. Und sie wollte meine Tiara bewundern.«
»Hoffentlich hast du ihr nicht erlaubt, die Diamanten anzurühren.«
Irgendetwas in Eloises Blick warnte Marianne vor weiteren Erklärungen. Nachdem sie mit Robert das Haus der Harrisons verlassen hatte, fragte sie: »Findest du nicht auch, dass sie das Kind zu streng behandelt, Bob? Fast könnte man meinen, Gabriella hätte meine Tiara gestohlen ...«
»Vielleicht ist sie in ihrer Einstellung zu Kindern ein bisschen altmodisch. Offensichtlich glaubte sie wohl, Gabriella hätte dich belästigt.«
»Wie könnte sie?« Inzwischen waren sie in ihre Limousine gestiegen und ließen sich von dem Chauffeur nach Hause fahren. »So ein süßes kleines Ding – diese großen, ernsthaften, traurigen Augen ...« Wehmütig fügte sie hinzu: »Oh, ich wünschte, wir hätten auch eine kleine Tochter wie Gabriella.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte er, streichelte die Hand seiner Frau und wandte sich ab, weil er die schmerzliche Enttäuschung in ihrem Blick nicht ertrug. Seit neun Jahren waren sie verheiratet, und er wusste, wie sehr sie unter der kinderlosen Ehe litt. Aber damit mussten sie sich beide abfinden.
Nach einem kurzen Schweigen bemerkte sie: »Und zu ihrem Mann ist sie auch ziemlich ekelhaft.«
»Wer?«, fragte Robert geistesabwesend. Er hatte einen anstrengenden Tag im Büro hinter sich und schmiedete bereits Pläne für den nächsten Morgen. An die Harrisons dachte er nicht mehr.
»Eloise«, antwortete Marianne und erinnerte ihn wieder an die Ereignisse dieses Abends. »Ein paar Mal tanzte John mit der Engländerin, die Fürst Orlovsky mitgebracht hatte. Da starrte Eloise ihren Mann an, als wollte sie ihn umbringen.«
»Wärst du erfreut gewesen, wenn
ich
mit der Engländerin getanzt hätte?« Herausfordernd hob Robert die Brauen, und seine Frau lachte vergnügt. Das hautenge fleischfarbene Satinkleid hatte nichts der Fantasie überlassen. Außerdem war die junge Dame in bester Stimmung gewesen, und John Harrison hatte sie – ebenso wie die anderen männlichen Gäste – amüsant gefunden.
»Natürlich kann ich's Eloise nicht verübeln«, gab Marianne dann leicht widerstrebend zu. Sie musterte ihren Mann mit großen, unschuldigen Augen. »Findest du diese Engländerin hübsch?«
Inzwischen hatten sie ihr Haus in der East Seventyninth Street erreicht. Grienend schüttelte er den Kopf. »Darauf falle ich nicht herein, Marianne! Eine grauenhafte Person, furchtbar hässlich. Und mit dieser schlechten Figur dürfte sie so ein Kleid nicht tragen. Was hat sich Fürst Orlovsky eigentlich gedacht? Wie konnte er diese Vogelscheuche zu der Party mitbringen?«
Marianne stimmte in sein Gelächter ein. Natürlich waren ihr die Schönheit und der Charme der Engländerin aufgefallen. Aber Robert Marks hatte nur Augen für seine Frau. Obwohl sie ihm keine Kinder schenken konnte, betete er sie an. Und jetzt wollte er möglichst schnell mit ihr ins Bett gehen. An Orlovskys neue Geliebte verschwendete er keinen einzigen Gedanken.
Für John Harrison galt das nicht, denn Eloise hatte im ehelichen Schlafzimmer ein ähnliches Thema angeschnitten. »Um Himmels willen, warum hast du ihr nicht einfach das Kleid ausgezogen?«, fragte sie bissig. Ein paar Mal hatte er eng umschlungen mit der Aufsehen erregenden Engländerin getanzt, was weder seiner Frau noch dem russischen Fürsten entgangen war.
»Verdammt, Eloise, ich wollte einfach nur höflich sein. Sie hatte zu viel getrunken und wusste nicht mehr, was sie tat.«
»Wie angenehm für dich!«, meinte
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