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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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leises Schluchzen rang sich aus seiner Kehle. Eloise packte ihre Tochter unsanft am Arm und zerrte sie in den unheimlichen Raum. Krachend schloss sich die Tür. Nachdem das Echo verhallt war, brach nur mehr Gabriellas Schluchzen die gespenstische Stille.
    »Mutter Gregoria wird Sie gleich empfangen«, verkündete die Greisin, ohne dem weinenden Kind einen Blick zu gönnen, und entfernte sich wieder. Entrüstet starrte Eloise ihre Tochter an.
    »Hör sofort zu heulen auf!«, befahl sie und packte sie am Arm. Mehr wagte sie hier nicht zu unternehmen. »Erspar mir dein Gejammer! Wenn ich weg bin, kannst du flennen, so viel du willst. Aber mich musst du mit diesem Unsinn verschonen. Ich bin nicht dein Vater, der sich dein Gewinsel so geduldig angehört hat. Nun, ich nehme an, die Schwestern werden andere Seiten aufziehen. Weißt du, was die Nonnen mit unartigen Kindern machen?«
    Aber Eloise gab keine Antwort auf ihre eigene Frage. Als Gabriella den Kopf hob, entdeckte sie ein riesiges Kruzifix, an dem ein blutender, sterbender Christus hing. Bei diesem Anblick vergoss sie neue Tränen. Zweifellos war dies der schrecklichste Tag ihres Lebens, und sie hoffte inständig, der Tod würde sie ereilen, bevor man sie für all ihre Sünden bestrafte. Wo sie sich befand und wie lange sie hier bleiben musste, wusste sie noch immer nicht. Doch der Koffer, den sie mitgenommen hatte, war wohl kaum ein gutes Zeichen.
    Trotz der Warnung ihrer Mutter konnte sie das Schluchzen nicht unterdrücken. Schließlich kehrte die alte Nonne zurück und erbot sich, Mrs Harrison und ihre Tochter zum Büro der Oberin zu führen. Sie folgten ihr durch einen langen, düsteren Flur, den winzige, trübe Lampen und ein paar flackernde Kerzen nur schwach erhellten. Bedrückt fragte sich Gabriella, ob man sie in ein Verließ werfen würde, aus dem es kein Entrinnen gab. In der Ferne ertönten klagende Gesänge, die ihre Angst noch steigerten. Sollte sie ihr restliches Leben an diesem grausigen Ort verbringen? Lieber würde sie sterben.
    Die alte Nonne öffnete eine schmale Tür. Dann bedeutete sie Eloise und dem kleinen Mädchen einzutreten und hinkte davon. Obwohl sie am Stock ging, glitten ihre Füße lautlos über den Steinboden. Fröstelnd starrte Gabriella ihr nach. Die Mutter griff wieder nach ihrem Arm und zog sie in das Zimmer.
    Hinter einem schlichten kleinen Schreibtisch erhob sich eine hoch gewachsene Nonne mit kühlen Augen. Ihr Gesicht glich einer Granitskulptur. Über der Stirn schimmerte ein breites weißes Band. Ansonsten war sie schwarz gekleidet. Ihre überdurchschnittliche Größe schüchterte Gabriella vollends ein. Und was noch grausiger wirkte – sie schien keine Hände zu besitzen.
    Ausdruckslos musterte sie Eloise und Gabriella Harrison, die Arme vor der Brust verschränkt, die Hände in den weiten Ärmeln ihrer Tracht verborgen. Außer einem schweren hölzernen Rosenkranz, der bis zur Taille hinabhing, trug sie keinen Schmuck. Nichts wies auf ihre Stellung in der Ordenshierarchie hin, aber Eloise wusste, dass sie der Oberin gegenüberstand. In den letzten beiden Monaten hatten sie sich zwei Mal getroffen, um Gabriellas Zukunft zu erörtern. Doch die Mutter Oberin hatte nicht erwartet, das Kind so aufgeregt zu sehen, und angenommen, es wäre über die Pläne der Mutter informiert.
    »Hallo, Gabriella«, begann die Nonne, »ich hin Mutter Gregoria. Du wirst eine Zeit lang bei uns bleiben. Das hat deine Mutter dir sicher erzählt.« Die Lippen lächelten nicht. Aber in den Augen lag ein freundlicher Ausdruck, den Gabriella durch ihren Tränenschleier nicht sah.
    Unglücklich schüttelte sie den Kopf, um zu bekunden, dass sie nicht hier bleiben wollte, dass die Mutter verschwiegen hatte, was mit ihr geschehen sollte.
    »Während meines Aufenthalts in Reno wirst du hier wohnen«, erklärte Eloise mit eisiger Stimme, und die Oberin beobachtete sie forschend. Offenbar erfuhr das Kind erst jetzt von der Absicht seiner Mutter, und das missfiel der Nonne gründlich.
    Entsetzt schaute Gabriella zu Eloise auf. »Wann kommst du zurück?« Obwohl sie Mommy hasste, gab es niemand anderen in ihrem Leben. War die Gefangenschaft in diesem geisterhaften Haus die Strafe für ihren Hass? Hatte die Mutter diese bösen Gefühle gespürt und sie hierher gebracht, um sich fürchterlich zu rächen?
    »Ich werde sechs Wochen in Reno verbringen«, entgegnete Eloise ohne ein einziges tröstendes Wort und trat beiseite, um sich von ihrer Tochter zu entfernen.

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