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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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Krankenschwester in der Kinderabteilung des Mercy Hospitals. Vom ersten Augenblick an fühlte sie sich zu dem kleinen Mädchen mit den großen, traurigen blauen Augen hingezogen. Hinter diesem Blick verbarg sich zweifellos eine lange Geschichte, die Gabriella vielleicht niemals erzählen würde – an der sie aber bestimmt schmerzlich gelitten hatte.
    Die Begegnung mit Mutter Gregoria, am Morgen nach Mommys unerwartetem Abschied, bedeutete Gabriella jedoch noch viel mehr. Was damals mit ihr geschehen war, konnte sie nicht erklären. Dafür fehlten ihr die Worte. Aber irgendwie wusste sie, dass sie die ersehnte, in all den Jahren schmerzlich vermisste Mutter gefunden hatte. Und sie verstand, warum die Nonnen so gern im St. Matthew's lebten.
    Aufmerksam beobachtete die Oberin, wie das Kind mit den Schwestern sprach. Gabriella war ein scheues kleines Mädchen, das zerbrechlich wirkte und trotzdem eine seltsame innere Kraft ausstrahlte. In ihrer Seele schienen tiefe Gefühle ihr zartes Alter Lügen zu strafen. Angesichts der Skepsis, mit der Gabriella ihren Mitmenschen gegenübertrat, erriet Mutter Gregoria, wie grausam die arme Kleine verletzt worden war. Nachdem sie Mrs Harrison und ihre Tochter zusammen gesehen hatte, glaubte sie auch, die Quelle des Leids zu kennen.
    Dieses Kind hatte Höllenqualen überstanden – aus irgendeinem Grund, den vielleicht nur der Allmächtige kannte. Nun wollte die Oberin herausfinden, ob sich die Seele, die sie in Gabriellas Brust entdeckt hatte, eines Tages den Menschen öffnen würde. In der Klostergemeinde lebten mehrere Frauen, die mit emotionalen Störungen hierher gekommen waren. Und da die kluge Nonne auf die inneren Kräfte des kleinen Mädchens hoffte, glaubte sie, die Wunden würden heilen.
    An diesem Abend wurde Gabriella ebenfalls mit den anderen Hausgästen bekannt gemacht, den beiden verwaisten Mädchen, die seit Weihnachten im St. Matthew's Convent wohnten. Die 14-jährige Natalie ärgerte sich ein wenig über die Einschränkungen des Klosterlebens, träumte von Jungs und hübschen Kleidern und war ganz verrückt nach einem jungen Sänger namens Elvis. Aber ihre ältere Schwester, die 17-jährige Julie, fühlte sich erleichtert, weil sie der Welt vorerst entronnen war, und genoss die Sicherheit im Kreis der Nonnen. Das schüchterne Mädchen stand immer noch unter dem Schock, den es beim Tod der Eltern erlitten hatte. Nun wollte sie Postulantin werden. Seit Monaten flehte sie die Oberin an, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Als sie Gabriella kennen lernte, wusste sie wenig zu sagen. Umso eifriger unterhielt sich Natalie mit der neuen Mitbewohnerin und vertraute ihr kichernd Geheimnisse an, obwohl Gabriella noch zu jung war, um eine solche Freundschaft zu schätzen. Später wisperte Natalie in Schwester Lizzies Ohr, Gabriella sei »noch ein Baby«, versprach jedoch, sie würde ihr helfen, sich im Kloster einzugewöhnen. Natürlich würde Gabriella nur ein paar Wochen hier bleiben, und alle glaubten, sie würde sich verzweifelt nach ihren Eltern sehnen.
    Aber in dieser Nacht dachte Gabriella nicht an Mommy und Daddy, nur an die Frau, die sie am Morgen umarmt und getröstet hatte. Lebhaft erinnerte sie sich an die starken Arme, an das Gefühl, vor den Schmerzen der Vergangenheit beschützt zu werden. Noch nie hatte sie einen Menschen wie Mutter Gregoria gekannt. Und so wie Julie überlegte sie schon jetzt, ob sie für alle Zeiten hier bleiben sollte.
    Zusammen mit den beiden anderen Mädchen bewohnte sie ein kleines Zimmer mit einem winzigen Fenster, das zum Klostergarten hinausging. Während sie in ihrem Bett lag, sah sie den Mond hoch am Himmel stehen. Wo mochte ihre Mutter die Nacht verbringen? Zu Hause oder im Zug? Wann würde sie von jenem mysteriösen Ort namens Reno zurückkehren? Aber wann immer sie Mommy wiedersehen würde – Gabriella wusste, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben sicher war. Wie ihre Zukunft aussehen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. Nur eins stand fest – vorerst musste sie keine Prügel fürchten, keine Strafen, keine Anklagen, keinen Hass. Seltsam – als sie mit Mommy vor der Tür des Klosters gestanden hatte, war sie überzeugt gewesen, hinter diesen Mauern würde eine schreckliche Strafe auf sie warten. Und jetzt erkannte sie, wie glücklich sie sich in Mutter Gregorias Obhut schätzen musste.
    Allmählich versank sie im Halbschlaf und träumte von den Nonnen, die sie beim Dinner wie sanftmütige Vögel umschwirrt hatten –

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