Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
beauftragte eine Lehrerin, ein Bewerbungsformular vom Columbia College anzufordern. Als es eintraf, befahl sie dem widerspenstigen Mädchen, es auszufüllen. Nach einem langen Kampf gehorchte Gabriella, beklagte sich bitter und schwor, sie würde niemals fortgehen. Kurze Zeit später wurden ihr ein Studienplatz und ein Stipendium zugesichert. Darüber freuten sich alle außer Gabbie. Für das Columbia hatten sie sich – vom Prestige des Colleges abgesehen – entschieden, weil sie während ihrer Ausbildung weiterhin im St. Matthew's wohnen konnte.
»Und was jetzt?«, fragte sie unglücklich, nachdem sie die Oberin über das Stipendium informiert hatte. In diesem Juni würde sie ihren siebzehnten Geburtstag feiern, und jetzt benahm sie sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im St. Matthew's wie ein verwöhntes Baby.
»Bis zum September wirst du genug Zeit finden, um dich an den Gedanken zu gewöhnen, mein Kind. Du wirst auch in Zukunft bei uns leben. Aber du musst aufs Columbia College gehen.«
»Und wenn ich mich weigere?«, erwiderte Gabriella kampflustig. Beinahe hätte Mutter Gregoria die Hände gerungen.
»Dann trommle ich am ersten September alle Nonnen zusammen und lege dich vor ihren Augen übers Knie. Das würdest du verdienen. Wie undankbar du bist! Du bekommst ein wundervolles Stipendium. Und du kannst viel lernen, was dir bei deiner Schriftstellerei helfen wird.«
In Gabriellas Ohren klang das absurd. »Das kann ich hier auch.« Deutlicher denn je überschattete kalte Angst ihren Blick, was der Oberin nicht entging.
»Willst du mir etwa einreden, du wärst so klug und brillant und begabt, dass du nichts lernen musst? Ich glaube, wir sollten dir ein bisschen Bescheidenheit einbläuen.«
Darüber musste Gabriella lachen. In den nächsten drei Monaten wurde das Thema noch sehr oft erörtert und führte jedes Mal zu einer lebhaften Diskussion. Aber letzten Endes, von zweihundert Nonnen gedrängt, ging Gabriella notgedrungen aufs Columbia College. Nach einer Woche gestand sie widerstrebend, das Studium würde ihr Spaß machen. Und zwei Monate später war sie hellauf begeistert.
Vier Jahre lang versäumte sie keine einzige Vorlesung. Sie belegte Kurse für Schriftstellerei und Literatur, hing begierig an den Lippen ihrer Lieblingsprofessoren, sprach aber nur, wenn sie gefragt wurde. Den Studenten und Studentinnen ging sie aus dem Weg. Sobald der Unterricht beendet war, eilte sie ins Kloster zurück. In gesellschaftlicher Hinsicht war der Aufenthalt am Columbia College ein Fehlschlag. Umso eifriger arbeitete sie an ihren zahlreichen Projekten. Im letzten Jahr begann sie, eine Novelle zu schreiben.
Und dann graduierte sie magna cum laude. Die Nonnen losten aus, wer die Abschlussfeier besuchen durfte.
Letzten Endes saßen zwanzig Schwestern mit Mutter Gregoria im Saal, zwischen all den stolzen Müttern und Vätern.
Jetzt war Gabriella fast einundzwanzig Jahre alt. Überglücklich fuhr sie in einem der Kleinbusse nach Hause, die sie gemietet hatten.
Alle Nonnen bejubelten Gabriellas ausgezeichnete Noten. Darüber waren sie nicht halb so verblüfft wie sie selber. Die Jahre am Columbia College waren sehr erfolgreich gewesen, und niemand bezweifelte auch nur eine Sekunde lang, dass sie eines Tages einen Bestseller schreiben würde.
Da war sie sich nicht so sicher, obwohl sogar die Professoren ihr erklärt hatten, sie würde ihr eigenes Talent viel zu skeptisch beurteilen.
Nach der Abschlussfeier, an einem milden Juniabend, wanderte sie mit Mutter Gregoria durch den Klostergarten. Zögernd begann sie, über ihre berufliche Zukunft zu sprechen. »Ich weiß nicht, ob ich wirklich Bücher schreiben kann«, gestand sie. Die Schuldgefühle und Demütigungen in ihrer frühen Jugend hatten das Selbstvertrauen der erwachsenen Gabriella empfindlich gestört.
Das spürte die Oberin, und sie versuchte das Mädchen zu ermutigen. »Natürlich kannst du's. Schau dir doch deine Novelle an! Was glaubst du denn, warum du dein Studium magna cum laude beendet hast?«
»Weil die Professoren Ihnen einen Gefallen tun wollten. Außerdem ist der Dekan katholisch.«Über diese groteske Erklärung musste Gabriella selber lachen.
»Keineswegs, er ist jüdischen Glaubens. Du weißt sehr gut, warum du deine guten Noten bekommen hast. Weil du sie verdienst. Die Frage ist nur – was fängst du jetzt mit den Früchten deiner Ausbildung an? Möchtest du einen Roman schreiben – oder wie wär's mit einer freiberuflichen Tätigkeit
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