Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
nur ihre eigenen Fehler, ihr Versagen. In Wirklichkeit war sie viel demütiger als die Novizinnen, die ihre Berufung wie eine Trophäe hochhielten. Das versuchte ihr die Oberin ständig vor Augen zu führen, ohne Erfolg. Beharrlich verleugnete Gabriella ihre Tugenden, wies auf ihre Makel hin und beteuerte, sie könne niemals Nonne werden. Andererseits wollte sie das Kloster nicht verlassen, in dem sie geliebt und beschützt wurde. Ohne diese Sicherheit würde sie zu Grunde gehen.
»Wahrscheinlich muss ich für den Rest meines Lebens hier bleiben und Fußböden schrubben«, sagte sie an ihrem fünfzehnten Geburtstag zu Schwester Lizzie, halb scherzhaft, halb im Ernst. »Das will sonst niemand tun. Und es gefällt mir. Bei der Hausarbeit denke ich über meine Geschichten nach.«
»Wenn du in den Orden eintrittst, könntest du auch weiterhin Geschichten schreiben, Gabbie«, betonte Schwester Lizzie. Sämtliche anderen Nonnen vertraten ebenfalls diesen Standpunkt. Von Gabriellas Berufung waren alle außer ihr selbst überzeugt. Manchmal lächelten sie einfach nur und ignorierten ihre albernen Selbstvorwürfe, denn sie wussten, eines Tages würde sie die Wahrheit erkennen. Erst einmal musste sie erwachsen werden.
Mit sechzehn beendete sie die Highschool. Obwohl die Nonnen sie lieber bei sich behalten hätten, entschieden sie, Gabriella müsste ein College besuchen. Darauf legte sie absolut keinen Wert. Sie war glücklich im St. Matthew's und genoss es, für die Schwestern zu sorgen. Aber angesichts ihrer schriftstellerischen Begabung wollte Mutter Gregoria die Ausbildung ihres Schützlings nicht vernachlässigen. Mit ihren gefühlvollen Geschichten bewies Gabriella ein ungewöhnliches Verständnis für die Probleme der Menschen. Jedem, der diese Werke las, gingen sie zu Herzen. Ihr Stil ließ vermuten, sie würden von einer älteren Autorin stammen – und keinesfalls von einem Mädchen, das hinter Klostermauern lebte.
»Du solltest wirklich studieren«, meinte die Oberin, nachdem sie mit den Lehrerinnen gesprochen hatte. Alle fanden, es wäre ein Verbrechen, eine so talentierte Schülerin nicht aufs College zu schicken.
»Das möchte ich nicht«, protestierte Gabriella energisch. Sie fürchtete sich vor der Außenwelt, und es widerstrebte ihr, in jenes Leben zurückzukehren, das sie so nachhaltig verletzt hatte. Nicht einmal für ein paar Minuten wollte sie den sicheren Hafen von St. Matthew's verlassen. Deshalb wurde sie gehänselt, und man warf ihr vor, sie sei genauso wie die alten Nonnen, die jedes Mal jammerten, wenn sie sich hinauswagen und einen Arzt konsultieren mussten. Den jüngeren Nonnen machte es Spaß, Verwandte zu treffen, eine Bibliothek zu besuchen oder ins Kino zu gehen. Aber nicht Gabriella, die lieber in ihrem Zimmer saß und Geschichten schrieb.
»Unser Klosterleben bedeutet keineswegs eine Abkehr von der Welt da draußen, Gabbie«, erklärte Mutter Gregoria in entschiedenem Ton. »Wir sind hier, um Gott zu dienen, ihm unsere Talente zu weihen und sie zu nutzen, indem wir den Menschen geben, was wir zu bieten haben. Glaub mir, es wäre falsch, ihnen unsere Fähigkeiten vorzuenthalten – nur weil wir uns nicht aus dem Kloster trauen. Denk an die Schwestern, die jeden Tag im Mercy Hospital arbeiten! Stell dir einmal vor, sie würden hier sitzen und in Tagträumen versinken, weil es ihnen zu peinlich wäre, kranke Männer zu pflegen! Wir sind keine Feiglinge, Gabbie, und es ist unsere Pflicht, den Menschen zu dienen.«
Angstvoll starrte Gabriella die Oberin an. Nein, sie würde das Kloster nicht verlassen, um zu studieren. Nicht einmal die enthusiastischen Briefe, die Natalie aus Ithaca schrieb, konnten sie umstimmen. »Ich will nicht aufs College gehen.« Zum ersten Mal, seit sie im St. Matthew's lebte, begehrte sie gegen Mutter Gregoria auf. Und sie leistete erstaunlich hartnäckigen Widerstand.
»Wenn es an der Zeit ist, wirst du keine Wahl haben.« Die Lippen der Oberin verkniffen sich. Notfalls würde sie das Kind zum Studium zwingen, obwohl ihr solche Maßnahmen widerstrebten. »Du gehörst dieser Gemeinde an und wirst tun, was ich dir sage. Um schwerwiegende Entscheidungen zu treffen bist du noch zu jung – und offensichtlich auch zu dumm.« Damit ließ sie das Thema fallen, verärgert über den Eigensinn des Mädchens. Sie wusste allerdings, was dahinter steckte – Gabriellas Furcht vor der Rückkehr in die Außenwelt.
Nun, darauf würde Mutter Gregoria keine Rücksicht nehmen. Sie
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