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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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ihrer Verblüffung stand Vater Joe auf der Schwelle. Unglücklich starrte er sie an.
    »Hi«, begrüßte sie ihn. Sein Anblick überraschte sie nicht sonderlich. Meistens folgte er diesem Korridor, wenn er die Kirche verlassen hatte und in die St. Stephen's School zurückkehren wollte. Oder er nahm die Abkürzung, die durch den Garten führte. »Ist was passiert?«
    Schweigend schüttelte er den Kopf. Seine blauen Augen schienen ihre eigenen widerzuspiegeln, und sie las tiefen Kummer in seinem Blick.
    »Aber Sie sehen so traurig aus.«
    Er antwortete nicht sofort. Zögernd betrat er das Büro. Dabei schaute er sie unverwandt an. Niemand war in der Nähe, denn die Räume, die an diesem Flur lagen, wurden schon lange nicht mehr benutzt. »Das bin ich auch«, gestand er nach einer langen Pause, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Offenbar fand er nicht die richtigen Worte.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie behutsam, als wäre er ein verängstigtes Kind – obwohl sie keine Erfahrung im Umgang mit Kindern besaß. Aber in diesem Moment erschien er ihr wie ein unglücklicher kleiner Junge. Beinahe hätte sie sich erkundigt, ob jemand in der Schule gemein zu ihm gewesen war. Doch er erweckte nicht den Eindruck, als wäre er zum Scherzen aufgelegt, und das kam nur selten vor.
    Er griff nach einem der Bücher, die sie beiseite gelegt hatte. Bis jetzt waren die Hauptbücher nicht aufgetaucht. »Was machen Sie hier, Gabbie?« Er nannte sie weder Gabriella noch Schwester Bernie.
    Also sind wir immer noch Freunde, stellte sie erleichtert fest. »Schwester Emanuel sucht ein paar Hauptbücher, die irgendjemand verlegt hat, und ich hoffe, sie hier zu finden.« An ihrer Tracht hingen Staubflocken, und sie erschien ihm schöner denn je – die Wangen erhitzt, etwas derangiert. Wenn man in alten Büchern wühlte, machte man sich leicht schmutzig.
    Vater Joe nahm ihr einen Bücherstapel aus den Händen und legte ihn auf den Schreibtisch. »Ich habe an Sie gedacht«, seufzte er. Was wollte er ihr damit sagen? »Viel zu oft – seit jenem Abend ...«
    »Tut's Ihnen Leid, dass Sie mir von Jimmy erzählt haben?« In der Stille des kleinen Raums klang ihre Stimme sanft und leise, fast wie eine Liebkosung. Die Augen geschlossen, schüttelte er den Kopf und umfasste wortlos ihre Hand. Es dauerte lange, bis er die Lider hob, und sie suchte vergeblich nach Worten, um ihn zu trösten.
    »Natürlich tut's mir nicht Leid, Gabbie. Sie sind meine Freundin. In letzter Zeit habe ich viel nachgedacht –über Sie, über mich selbst, das Schicksal, das uns hierher geführt hat, die Menschen, die uns verletzten, die wir liebten und verloren ...« Er hatte viel mehr geliebt und verloren als sie. Bevor sie ins Kloster gekommen war, hatte sie nicht einmal gewusst, was Liebe bedeutet. »Uns beiden ist es sehr wichtig, der Kirche zu dienen, nicht wahr?« Seine Stimme klang verzweifelt – als suchte er eine Antwort auf eine Frage, die er ihr nicht zu stellen wagte.
    »Natürlich, das wissen Sie doch.«
    »Niemals würde ich etwas tun, das unseren Lebensinhalt gefährden könnte.«
    Worauf er hinauswollte, wusste sie noch immer nicht. »Sie haben nichts dergleichen getan, Joe. Ebenso wenig wie ich.« Sie sprach im Brustton der Überzeugung, und ihre Worte schienen ein Messer in sein Herz zu stoßen.
    Seufzend gestand er ihr seine Sünden – so wie sie ihm vorhin ihre kleinen Vergehen gebeichtet hatte. »Doch, ich schon.«
    »O nein!« Nicht, dass sie irgendetwas wusste ...
    »Ich habe in Gedanken gesündigt.« Noch deutlicher konnte er es nicht ausdrücken.
    »Was meinen Sie?« Mit großen Augen, die ihre ganze Seele offenbarten, schaute sie ihn an. Unwillkürlich trat sie näher zu ihm. Der Magnet, der sie beide zueinander zog, war stärker als alles, was sie jemals empfunden hatten.
    »Wie soll ich's Ihnen erklären?« In seinen Augen glänzten Tränen. Zärtlich strich sie über seine Wange. Nie zuvor hatte sie einen Mann auf diese Weise berührt. »Ich liebe Sie, Gabbie.« Er konnte seine Gefühle nicht länger verbergen. Weder vor ihr noch vor sich selbst. »Keine Ahnung, was ich sagen oder tun soll ... Ich möchte Sie nicht verletzen – Ihr Leben nicht zerstören. Aber bevor ich meinen Job in der St. Stephen's School aufgebe und weggehe, muss ich wissen, ob Sie wirklich den Schleier nehmen wollen. Wenn Sie von Ihrer Berufung überzeugt sind, werde ich den Erzbischof um meine Versetzung bitten.« Die ganze Nacht hatte er mit diesem Gedanken

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