Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
die Arme genommen. Doch das durfte sie nicht tun. »Bevor wir ihn erreichten, ertrank er ... Ich hätte es nicht verhindern können. Trotzdem hatte ich stets das Gefühl, meine Eltern würden mir die Schuld an seinem Tod geben. Darüber sprachen sie nie – aber ich wusste es ... Er hieß Jimmy.« Langsam rollten Tränen über seine Wangen, und Gabriella hielt seine Hand immer noch fest.
»Warum sollten Ihre Eltern glauben, Sie wären schuld an Jimmys Tod? Sie waren machtlos, Joe.« Zum ersten Mal nannte sie ihn nicht »Vater«.
Bevor er antwortete, zögerte er ein paar Sekunden lang. Schließlich entzog er ihr seine Hand, um seine Tränen wegzuwischen. »An jenem Tag bat ich ihn, mit mir im Fluss zu schwimmen. Also war es meine Schuld.«
»Sie waren erst sieben Jahre alt. Und er musste Ihren Wunsch nicht erfüllen.«
»Aber er tat immer, was ich wollte. Wir liebten uns sehr. Nach seinem Tod hat sich unser Familienleben völlig verändert. Irgendwie schien die Seele meiner Mutter seit diesem Zeitpunkt zu sterben.«
Gabriella fragte sich, ob jene Tragödie erklären mochte, warum seine Mutter nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Selbstmord begangen hatte. Vielleicht war es einfach zu viel für sie gewesen. Sieben Jahre zuvor hatte sie ihren älteren Sohn verloren. Eine verständliche Verzweiflungstat – obwohl es grausam und selbstsüchtig gewesen war, den kleinen Joe allein zu lassen.
Diese Gedanken behielt Gabriella für sich. »Warum solche Dinge geschehen, ist schwer zu begreifen. Gerade wir sollten es besser wissen als andere.« Ständig mussten die Nonnen und Priester den Allmächtigen verteidigen, wenn unglückliche Menschen mit ihrem Schicksal haderten.
»Mit solchen Tragödien werde ich sehr oft konfrontiert – was mich nicht tröstet. Ich vermisse Jimmy immer noch, Gabbie.« Seit dem Tod seines Bruders waren vierundzwanzig Jahre verstrichen. Doch die Zeit half ihm nicht, den Verlust zu verschmerzen. »In gewisser Weise hat jenes schreckliche Ereignis meine ganze Kindheit überschattet, weil ich mich dafür verantwortlich fühlte.« Ganz zu schweigen vom Tod der Eltern, der die späteren Jahre verdunkelt hatte ...
Was er mit seinen Gewissensqualen meinte, verstand Gabriella nur zu gut – aus eigener leidvoller Erfahrung. »Auch ich glaubte, ich wäre an allem schuld, was in meiner Familie passierte«, gab sie zu. »Zumindest wurde mir das eingeredet. Warum nehmen manche Kinder eine so schwere Last auf sich?« Niemals hatte sie bezweifelt, ihre Eltern hätten sie nur verlassen, weil sie so unartig gewesen war. »Bitte, Joe, machen Sie sich keine Vorwürfe mehr. Sie tragen keine Schuld an jenem schrecklichen Unfall. Genauso gut hätten Sie ertrinken können. Warum sich solche Dinge ereignen, wissen wir nicht.«
»Oft genug wünschte ich mir, ich wäre an seiner Stelle gestorben«, gestand er mit leiser, fester Stimme. »In unserer Familie war er der große Star, der Erstgeborene, der Liebling meiner Eltern.« Im menschlichen Leben gab es so vieles, was sich nicht erklären ließ, was zu kompliziert war, was man einfach ertragen musste. »Jedenfalls werde ich ihn eines Tages wiedersehen«, fügte er mit einem schwachen Lächeln hinzu. »Das alles wollte ich Ihnen eigentlich gar nicht erzählen. Es ist nur – an Feiertagen muss ich immer an ihn denken. Und wir spielten so gern Baseball. Er war ein fantastischer Werfer.« Ein neunjähriger Junge, dachte Gabriella, für seinen kleinen Bruder Joe ein Held – und das bleibt er für alle Ewigkeit ...
»Tut mir so Leid, Joe«, beteuerte sie.
»Schon gut, Gabbie«, erwiderte er dankbar.
Dann setzte sich einer der anderen Priester zu ihnen und gratulierte Vater Joe zum Sieg für St. Stephen's. »Was für ein großartiger Werfer Sie sind ...«
Allmählich besserte sich Joes Stimmung. Bevor er mit seinen Kollegen das Kloster verließ, ging er zu Gabriella, die bei Schwester Timmie und Schwester Agatha stand, und verabschiedete sich. »Vielen Dank für das fabelhafte Match, meine Damen!« Und mit einem Blick auf Gabriella, den niemand zu bemerken schien, fügte er hinzu: »Danke für alles.« Was er damit meinte, wusste sie – das Verständnis, das sie bei seiner Schilderung von Jimmys Tod gezeigt hatte.
»Gott segne Sie, Vater Joe«, entgegnete sie leise. Auch sie brauchte den Segen des Allmächtigen, seine Vergebung, seine heilsame Kraft. Aber Joe verdiente das Wohlwollen des Himmels noch viel mehr als sie selbst.
»Bei der nächsten Beichte sehen
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