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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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Mädchen bereits kommen sehen.
    »Haben Sie –äh – ein Zimmer zu vermieten? Ich las die Annonce in der Zeitung ...«
    »Mal sehen.«
    Jetzt glaubte Gabriella, den Akzent zu erkennen. Tschechisch oder polnisch. Sie erinnerte sich an die Sprechweise einiger Leute, die sie auf den Partys ihrer Eltern beobachtet hatte. Aber diese Person machte einen ganz anderen Eindruck.
    Prüfend musterte sie den Neuankömmling von oben bis unten. Mit Junkies und Prostituierten wollte sie nichts zu tun haben, auch nicht mit rebellischen entlaufenen Teenagern, die von der Polizei gesucht wurden. Und Gabriella sah jünger aus, als sie war. Die Frau führte ein respektables Haus. Am liebsten nahm sie ältere Gäste auf. Die bekamen regelmäßig ihre Überweisung vom Sozialamt, bezahlten die Miete, machten keinen Lärm und keinen Ärger, solange sie nicht erkrankten oder starben. In den Zimmern durfte nicht gekocht werden. Aber junge Leute taten, was ihnen gefiel, rauchten und aßen und tranken und kochten in den Zimmern. Außerdem schleppten sie zu jeder Tages- und Nachtzeit Freunde an, die sich viel zu laut amüsierten. Niemals hielten sie sich an die Hausordnung. Die meisten hatten keine anständigen Jobs und blieben monatelang die Miete schuldig. So etwas wollte sich die Pensionswirtin nicht mehr aufhalsen. »Haben Sie Arbeit?«, fragte sie besorgt.
    »Noch nicht«, erwiderte Gabriella in entschuldigendem Ton. »Ich suche gerade eine Stellung.«
    »Dann wenden Sie sich wieder an mich, wenn Sie eine gefunden haben.« Das war keine junge Dame mit einem Treuhandvermögen oder Eltern, die an der Park Avenue wohnten und der Tochter die Miete zahlten. Aber wenn's anders wäre, hätte sich das Mädchen nicht für diese Pension entschieden. »Woher kommen Sie?«
    Den unverhohlenen Argwohn konnte Gabriella ihr nicht verübeln. Sie zögerte. Wie sollte sie erklären, dass sie kein Zuhause hatte? Das würde sich so anhören, als wäre sie soeben aus dem Gefängnis entlassen worden. Und in ihrem hässlichen schwarzen Kleid sah sie wohl kaum Vertrauen erweckend aus. »Aus Boston«, antwortete sie und dachte an ihren Vater, dessen Adresse sie nicht auskundschaften konnte. »Gerade bin ich nach New York übersiedelt.«
    Das klang glaubhaft, und die Frau nickte. »Was für einen Job wollen Sie annehmen?«
    »Jeden, den ich kriege. Morgen gehe ich auf die Suche.«
    »An der Second Avenue gibt's viele Restaurants – und an der Eighty-sixth Street einige deutsche. Da finden Sie vielleicht was.« Das bleiche, sichtlich erschöpfte Mädchen erregte nun doch das Mitgefühl der Pensionswirtin. Gesund sah die Kleine nicht aus – aber wenigstens nicht wie ein Junkie. Allem Anschein nach war sie sauber und anständig. Deshalb ließ sich Mrs Boslicki erweichen. »Im obersten Stock ist noch ein Zimmer frei. Wenn Sie es sich anschauen wollen ... Nichts Besonderes. Das Bad müssten Sie mit drei Gästen teilen.«
    »Wie viel kostet es?« Voller Unbehagen dachte Gabriella an ihr geringes Budget.
    »Dreihundert im Monat. Ohne Essen. Und Sie dürfen nicht im Zimmer kochen. Keine Heizplatten, keine Doppelkocher. Gehen Sie in ein Restaurant, oder bringen Sie sich Sandwiches mit.« Das dürfte keine Probleme aufwerfen, denn Gabriella erweckte den Eindruck, sie hätte noch nie in ihrem Leben gegessen. In dem schmalen, blassen Gesicht wirkten die Augen übergroß. Offenbar war das Mädchen halb verhungert. »Möchten Sie das Zimmer sehen?«
    »Ja, bitte.« Gabriellas Höflichkeit und ihre kultivierte Sprechweise gefielen Mrs Boslicki. In ihrem Haus wollte sie sich nicht über freche, unverschämte junge Leute ärgern. Seit ihr Mann vor zwanzig Jahren gestorben war, vermietete sie Zimmer, und sie hatte keinem einzigen Hippie Obdach gewährt.
    Während sie nach oben gingen, fragte die Pensionswirtin, ob das Mädchen was gegen Katzen habe. Sie besaß neun, was den penetranten Geruch im Treppenhaus erklärte. Aber Gabriella versicherte, sie würde diese Tierchen lieben. Bei der Arbeit im Klostergarten hatte ihr manchmal eine Katze Gesellschaft geleistet.
    In der obersten Etage angekommen, musste die leicht übergewichtige Mrs Boslicki nach Atem ringen. Aber es war Gabriella, die fast zusammenbrach. Das Zimmer lag im dritten Stock. Diesen vielen Stufen war sie noch nicht gewachsen. Der Doktor hatte betont, sie dürfe sich nicht überanstrengen, möglichst keine Treppen steigen und nichts Schweres tragen. Sonst würden vielleicht neue Blutungen einsetzen. Das musste sie

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