Der lange Weg zur Freiheit
wenn ein Boxer niedergeschlagen wurde. Wir besaßen einen einzigen Punchingball und einige Paar Boxhandschuhe. Wir hatten keine Medizin- und keine Wurfbälle, keine richtigen Boxhosen oder -schuhe und keinen Mundschutz. Auch einen Kopfschutz besaß kaum einer. Trotz der mangelnden Ausrüstung brachte der Club Champions hervor, zum Beispiel Eric (Black Material) Ntsele, den südafrikanischen Meister im Bantamgewicht, und Freddie (Tomahawk) Ngidi, den Fliegengewichtsmeister von Transvaal, der tagsüber für mich als Assistent bei Mandela und Tambo arbeitete. Insgesamt hatten wir vielleicht 20 oder 30 Mitglieder.
Ich hatte zwar schon in Fort Hare ein wenig geboxt, doch ernsthaft befaßte ich mich mit diesem Sport erst, seitdem ich in Johannesburg lebte. Ich war niemals ein hervorragender Boxer. Ich gehörte in die Schwergewichtsklasse und besaß weder genügend Kraft, um meinen Mangel an Schnelligkeit wettmachen zu können, noch genügend Schnelligkeit, um meinen Mangel an Kraft auszugleichen. Mir gefiel weniger die Gewalttätigkeit beim Boxen als vielmehr die gleichsam wissenschaftliche Seite daran. Es faszinierte mich, wie man seinen Körper bewegte, um sich zu schützen, wie man eine Strategie sowohl für den Angriff als auch für die Verteidigung anwandte, wie man sich seine Kräfte für die Kampfdauer einteilte. Boxen ist ein egalitärer Sport. Rang, Alter oder Hautfarbe spielen im Ring keine Rolle. Wenn man seinen Gegner umkreist und seine Stärken und Schwächen herauszufinden sucht, denkt man nicht an seine Hautfarbe oder seinen sozialen Status. Nachdem ich in die Politik gegangen war, boxte ich nie wieder in einem regulären Kampf. Mein Hauptinteresse galt dem Training; ich fand, daß anstrengende Übungen ein ausgezeichnetes Ventil für Anspannung und Streß waren. Nach einem strapaziösen Training fühlte ich mich sowohl mental als auch physisch besser. Es war eine Möglichkeit, mich in etwas zu verlieren, das nicht der Kampf war. Nach einem abendlichen Training pflegte ich am nächsten Morgen aufzuwachen und mich stark und erfrischt zu fühlen, bereit, den Kampf wiederaufzunehmen.
Von Montag bis Donnerstag brachte ich jeden Abend anderthalb Stunden in der Trainingshalle zu. Ich fuhr von der Arbeit direkt nach Hause, holte Thembi ab, und dann ging’s zum Gemeindezentrum. Eine Stunde lang betrieben wir allerlei Übungen wie Laufen, Seilhüpfen, Gymnastik oder Schattenboxen, gefolgt von fünfzehn Minuten Kraftübungen, ein wenig Gewichtheben und dann Sparring. Trainierten wir für einen Kampf oder ein Turnier, dehnten wir die Trainingszeit auf zweieinhalb Stunden aus.
In der Leitung der Trainingseinheiten wechselten wir uns ab, um Führerschaft, Initiative und Selbstvertrauen zu entwickeln. Thembi machte es ganz besonderen Spaß, die Leitung bei unserem Training zu übernehmen. An den Abenden, an denen er an der Reihe war, mußte ich mich auf einiges gefaßt machen, denn unerbittlich machte er mich zum Ziel seiner Kritik. Zeigte ich mich bei einem Übungsteil faul, so stauchte er mich streng zusammen. Alle in der Halle nannten mich »Chief«, eine Art Ehrentitel, den er sorgfältig mied. Statt dessen nannte er mich »Mister Mandela« und gelegentlich, wenn er für seinen alten Herrn Mitgefühl empfand: »My Bra«, was Township-Slang war und »My Brother« bedeutete. Wenn er sah, daß ich faulenzte, sagte er mit strenger Stimme: »Mister Mandela, Sie vergeuden heute abend unsere Zeit. Wenn Sie nicht mithalten können, warum fahren Sie dann nicht nach Hause und setzen sich zu den alten Frauen.« Alle hatten an diesen Frotzeleien großen Spaß, und mir bereitete es Vergnügen, meinen Sohn so glücklich und selbstsicher zu sehen.
Die kameradschaftliche Atmosphäre im Club wurde in jenem Jahr gestört durch einen Streit zwischen Skipper Molotsi und Jerry Moloi. Jerry und die anderen Boxer meinten, daß Skipper sich nicht genügend um den Club kümmere. Skipper war ein bewährter Trainer, nur war er zu selten anwesend, um den Leuten sein Wissen zu vermitteln. Als Boxhistoriker stellte er eine wahre Fundgrube dar und konnte sämtliche 26 Runden schildern, die Jack Johnsons berühmter Kampf 1915 in Havanna gedauert hatte, als der erste schwarze Schwergewichtsweltmeister seinen Titel verlor. Doch Skipper neigte dazu, erst unmittelbar vor einem Match oder einem Turnier zu erscheinen, um das kleine, ihm zustehende Honorar einzustreichen. Ich hatte für Jerrys Standpunkt Verständnis, gab mir jedoch der Harmonie wegen
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