Der lange Weg zur Freiheit
zahlen müssen, und viele weitere würden es nach mir tun.
Vor der Urteilsverkündung erklärte ich dem Gericht, welches Urteil der Staat auch immer fällen werde, an meiner Hingabe an den Kampf würde es nichts ändern.
»Ich glaube nicht, Euer Ehren, daß dieses Gericht, indem es mich für die Verbrechen bestraft, für die ich verurteilt werde, sich von der Überzeugung leiten lassen sollte, daß Strafen die Menschen von dem Weg abbringen können, den sie für richtig halten. Die Geschichte zeigt, daß Strafen Menschen nicht abschrecken können, wenn ihr Gewissen wachgerüttelt ist, und sie werden auch mein Volk oder die Gefährten nicht abschrecken, mit denen ich früher zusammengearbeitet habe.
Ich bin bereit, die Strafe auf mich zu nehmen, obwohl ich weiß, wie bitter und verzweifelt die Lage eines Afrikaners in den Gefängnissen dieses Landes ist. Ich bin in diesen Gefängnissen gewesen, und ich kenne die gemeine Diskriminierung von Afrikanern selbst hinter Gefängnismauern. Trotz solcher Überlegungen weiche ich nicht von meinem Weg ab, und andere werden es ebensowenig tun. Denn für Menschen ist Freiheit in ihrem eigenen Land ihr höchstes Ziel, von dem Männer mit Überzeugung nichts ablenken kann. Stärker als meine Furcht vor den gräßlichen Bedingungen, denen ich im Gefängnis ausgeliefert sein mag, ist mein Haß gegenüber den abscheulichen Bedingungen, denen mein Volk außerhalb der Gefängnisse überall in diesem Land ausgesetzt ist.
Welches Urteil Euer Ehren auch immer für angemessen halten werden als Strafe für das Verbrechen, dessen ich in diesem Gericht für schuldig befunden worden bin, so bleibt festzuhalten, daß ich nach Verbüßung der Strafe noch immer, wie Menschen stets und überall, angetrieben sein werde von meinem Gewissen; ich werde noch immer angetrieben sein von meinem Abscheu vor der Rassendiskriminierung gegenüber meinem Volk, um nach Verbüßung meiner Strafe den Kampf, so gut ich es vermag, wiederaufzunehmen für die Beseitigung jener Ungerechtigkeiten, bis sie ein für allemal abgeschafft sind…
Ich habe meine Pflicht gegenüber meinem Volk und gegenüber Südafrika getan. Ich habe keinen Zweifel, daß die Nachwelt verkünden wird, daß ich unschuldig war und daß die Verbrecher, die man vor dieses Gericht hätte stellen sollen, die Mitglieder der Regierung sind.«
Als ich meine Rede beendet hatte, ordnete der Magistrate eine Pause von zehn Minuten an, um über das Urteil zu beraten. Ich wandte den Kopf und warf einen Blick auf die Zuschauer, bevor ich den Gerichtssaal verließ. Über das Urteil, das mich erwartete, machte ich mir keine Illusionen. Genau zehn Minuten später verkündete der Magistrate im von Spannung erfüllten Gerichtssaal: drei Jahre für Anstiftung zum Streik und zwei Jahre für das Verlassen des Landes ohne Paß; fünf Jahre insgesamt, ohne Bewährung. Es war ein hartes Urteil, und die Zuschauer brachen in Klagerufe aus. Als sich das Gericht erhob, wandte ich mich der Zuschauergalerie zu, ballte erneut die Faust und rief dreimal: »Amandla!« Dann stimmte die Menge von sich aus unsere schöne Hymne »Nkosi Sikelel’ iAfrika« an. Die Menschen sangen und tanzten, und die Frauen wehklagten, als ich abgeführt wurde. Die Aufregung unter den Zuschauern ließ mich für einen Augenblick vergessen, daß ich ins Gefängnis gehen würde, um die schärfste Strafe abzubüßen, die in Südafrika jemals für ein politisches Vergehen verhängt worden war.
Am Fuß der Treppe durfte ich mich kurz von Winnie verabschieden, und in diesem Augenblick wirkte sie gar nicht bedrückt: Sie war in gehobener Stimmung und vergoß keine Träne. Sie wirkte zuversichtlich, als Kameradin ebenso wie als Ehefrau.
Sie war entschlossen, mir Mut zu machen. Als ich im Polizeiwagen davongefahren wurde, konnte ich noch immer die Menschen draußen singen hören: »Nkosi Sikelel’ iAfrika.«
Das Gefängnis beraubt den Menschen nicht nur der Freiheit, es sucht ihm auch die Identität zu nehmen. Jeder trägt die gleiche Kleidung, ißt das gleiche Essen, hält sich an den gleichen Tagesablauf. Ein Gefängnis ist per Definition ein rein autoritärer Staat, der keinerlei Unabhängigkeit oder Individualität toleriert. Als Freiheitskämpfer und als Mensch hat man anzukämpfen gegen den Versuch des Gefängnisses, dem Häftling diese Eigenschaften zu rauben.
Vom Gerichtsgebäude wurde ich direkt zum Pretoria Local gebracht, jener düsteren Monstrosität aus roten
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