Der lange Weg zur Freiheit
jeder Zeitung stand: ›Mandela, Mandela, Mandela‹, und ich fragte mich: ›Wer ist dieser Mandela?‹ Ich will Ihnen sagen, wer Mandela ist. Er ist ein Kerl, den ihr Leute aufgebaut habt, und den Grund verstehe ich gar nicht. Das ist Mandela!«
Für zwei Wochen kam Walter zu uns. Während ich in Pretoria gewesen war, war ihm in Johannesburg der Prozeß wegen Anstiftung zum Streik gemacht worden. Er war zu sechs Jahren verurteilt worden. Wir hatten mehrfach Gelegenheit, im Gefängnis miteinander zu sprechen, und wir besprachen seinen Antrag auf Freilassung gegen Kaution, solange seine Berufung lief – ein Schritt, den ich rückhaltlos befürwortete. Nach zwei Wochen kam er gegen Kaution frei, und die Bewegung forderte ihn auf, in den Untergrund zu gehen, um den Kampf von dort zu leiten, was er auch umsichtig tat.
Kurze Zeit nachdem Walter fort war, ging ich eines Tages gemeinsam mit Sobukwe zum Gefängniskrankenhaus, als ich auf dem Hof, etwa 25 Meter entfernt, Nana Sita entdeckte. Sita, der bekannte indische Widerständler, der 1952 bei Boksburg unsere Mißachtungskampagne geleitet hatte, war gerade von einem Magistrate in Pretoria verurteilt worden, weil er sich geweigert hatte, sein Haus zu räumen, das Haus, in dem er über 40 Jahre gewohnt hatte – das aber in einem Bezirk lag, der nach Maßgabe des Group Areas Act als »weiß« deklariert worden war. Er stand nach vorn gebeugt, und der Umstand, daß er trotz seiner akuten Arthritis barfüßig war, gab mir, der ich Sandalen trug, ein Gefühl des Unbehagens. Ich wollte zu ihm eilen, um ihn zu begrüßen, doch wir waren bewacht von einem halben Dutzend Wärter.
Plötzlich hatte ich ohne Vorwarnung einen Ohnmachtsanfall. Ich sackte auf dem Betonboden zusammen und zog mir einen tiefen Riß über dem linken Auge zu, der mit drei Stichen genäht werden mußte. Im Fort hatte man bei mir zu hohen Blutdruck diagnostiziert und mir Tabletten dagegen gegeben. Offensichtlich war eine Überdosis an Tabletten die Ursache für den Ohnmachtsanfall; sie wurden abgesetzt, und ich erhielt salzarme Kost, die das Problem beseitigte.
Am Nachmittag sollte mich Winnie zum erstenmal seit meiner Verurteilung besuchen. Stiche hin, Stiche her, das wollte ich nicht versäumen. Winnie war äußerst besorgt, als sie mich sah, doch ich versicherte ihr, ich sei in Ordnung, und erzählte, was geschehen war. Trotzdem gingen Gerüchte um, meine Gesundheit sei angeschlagen.
Im Oktober 1962, während meines Prozesses, hielt der ANC seine erste Jahreskonferenz seit 1959 ab. Da die Organisation illegal war, fand die Konferenz in Lobatse statt, unmittelbar jenseits der Grenze zum Bechuanaland. Die Konferenz wurde ein Meilenstein, denn sie vereinte ANC und MK ausdrücklich miteinander. Obwohl das Nationale Exekutivkomitee verkündete: »Das Hauptgewicht liegt nach wie vor auf politischer Massenaktion«, wurde Umkhonto als »militärischer Flügel unseres Kampfes« bezeichnet. Zum Teil sollten damit die kaum zu verantwortenden Terrorakte eingedämmt werden, die damals von »Poqo« begangen wurden. »Poqo«, Xhosa für »unabhängig« oder »alleinstehend«, war lose mit dem PAC verbunden, und ihre terroristischen Akte richteten sich sowohl gegen afrikanische Kollaborateure als auch gegen Weiße. Der ANC wollte den Leuten seine neue Militanz zeigen, aber auch zu erkennen geben, daß sie kontrolliert und verantwortungsvoll gehandhabt wurde.
Die Regierung hatte beschlossen, das Programm der »getrennten Entwicklung« zu beschleunigen, um der Welt zu zeigen, daß Apartheid den Rassen individuelle »Freiheit« gestattete. Prototyp sollte die Transkei sein. Im Januar 1962 hatte Verwoerd verkündet, Südafrika beabsichtige, der Transkei »Selbstregierung« zu gewähren. 1963 wurde die Transkei ein »selbstregiertes« Homeland. Im November 1963 fand in der Transkei die Wahl zur gesetzgebenden Versammlung statt. In einem Verhältnis von mehr als drei zu eins stimmten die Wähler der Transkei für Kandidaten, die gegen die Homeland-Politik eingestellt waren.
Trotzdem wurde das Bantustansystem eingeführt; die Wähler hatten sich zwar dagegen ausgesprochen, partizipierten jedoch daran, durch die simple Tatsache ihrer Abstimmung. Obwohl ich das Bantusystem verabscheute, war ich der Auffassung, der ANC soll sowohl das System selbst als auch die Menschen in ihm als Plattform unserer Politik nutzen, zumal jetzt so viele unserer Führer aufgrund von Haft, Bannung oder Exil ohne Stimme wären.
Der Terrorismus
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