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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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wie ein Erholungsort als wie ein Gefängnis aus.
    »Esiquithini« (»Auf der Insel«), so beschreiben die Xhosa die schmale, windgepeitschte Felsformation 25 Kilometer vor der Küste von Kapstadt. Jedermann weiß, welche Insel gemeint ist. Zum erstenmal hörte ich von ihr als Kind. Robben Island war unter den Xhosa wohlbekannt, da Makanna (auch als Nxele bekannt), der fast zwei Meter große Befehlshaber der Xhosa-Armee im vierten Xhosa-Krieg, von den Briten dorthin verbannt worden war, nachdem er 1819 an die 10000 Krieger gegen Grahamstown geführt hatte. Er hatte versucht, in einem Boot von Robben Island zu fliehen, war jedoch ertrunken, bevor er die Küste erreichen konnte. Die Erinnerung an diesen Verlust hat sich eingeprägt in die Sprache meines Volkes, das eine »verlorene Hoffnung« mit der Wendung »Ukuza kuka Nxele« beschreibt.
    Makanna war nicht der erste afrikanische Held, der auf der Insel gefangengehalten worden war. 1658 wurde Autshumao, europäischen Historikern als Harry der Strandloper bekannt, während eines Krieges zwischen den Khoi Khoi und den Holländern von Jan Van Riebeeck dorthin verbannt. Ich tröstete mich mit dem Andenken an Autshumao, von dem es heißt, er sei der erste und einzige Mann gewesen, dem je die Flucht von Robben Island gelungen sei, und er habe es geschafft, indem er in einem kleinen Boot zum Festland gerudert sei.
    Robben Island hat seinen Namen von den Hunderten von Robben, die sich einst in der eisigen Benguela-Strömung tummelten, welche die Ufer umspülte. Später wurde die Insel eine Kolonie für Leprakranke, ein Irrenhaus und ein Marinestützpunkt. Erst kurz zuvor hatte die Regierung Robben Island wieder in ein Gefängnis verwandelt.
     
     
    Wir wurden von einer Gruppe stämmiger weißer Wärter in Empfang genommen, die ausriefen: »Dis die Eiland! Hier julle gaan vrek!« (»Dies ist die Insel. Hier werdet ihr sterben!«) Vor uns lag ein von mehreren Wachhäusern flankierter Gebäudekomplex. Der Weg dorthin war von bewaffneten Wächtern gesäumt. Ein großer Wärter mit rotem Gesicht schrie uns an: »Hier ek is you baas!« (»Hier bin ich euer Boß!«) Er war einer der berüchtigten Kleynhans-Brüder, die unter den Gefangenen wegen ihrer Brutalität bekannt waren. Die Aufseher sprachen stets in Afrikaans. Antwortete man auf englisch, so pflegten sie zu sagen: »Ek verstaan nie dardie kaffierboetie se taal nie« (»Ich verstehe diese Kaffernliebhabersprache nicht«).
    Während wir auf das Gefängnis zugingen, riefen die Wachen: »Zwei-zwei! Zwei-zwei«, was bedeutete, daß wir paarweise gehen sollten, zwei vorn, zwei hinten. Ich ging mit Tefu zusammen. Die Wachen begannen zu schreien: »Haak! Haak!« Das Wort »haak« bedeutet »bewegen« auf afrikaans, wird jedoch normalerweise nur bei Rindern gebraucht.
    Die Wärter forderten, daß wir uns im Laufschritt bewegten, und ich wandte mich zu Tefu und sagte leise, wir müßten ein Beispiel geben: Gaben wir jetzt nach, würden wir ihrer Gnade ausgeliefert sein. Tefu nickte zustimmend. Wir mußten ihnen zeigen, daß wir keine gewöhnlichen Verbrecher waren, sondern politische Gefangene, die für ihre Überzeugungen bestraft worden waren.
    Mit einem Wink bedeutete ich Tefu, daß wir beide vorn gehen sollten, und so nahmen wir die Spitze ein. Sobald wir vorn waren, verminderten wir unsere Geschwindigkeit und schritten langsam und bedächtig dahin. Die Wachen wollten ihren Augen nicht trauen. »Hört her«, sagte Kleynhans, »dies ist nicht Johannesburg, dies ist nicht Pretoria, dies ist Robben Island, und wir werden hier keine Insubordination dulden. Haak! Haak!« Doch wir bewegten uns in gemessenem Tempo weiter. Kleynhans befahl uns zu halten und pflanzte sich vor uns auf: »Hör zu, Mann, wir werden euch umbringen, wir machen keine Scherze, eure Frauen und Kinder und Mütter und Väter werden niemals erfahren, was aus euch geworden ist. Dies ist die letzte Warnung. Haak! Haak!«
    Darauf erwiderte ich: »Sie haben Ihre Pflicht zu tun, wir unsere.« Ich war entschlossen, nicht nachzugeben, und wir taten es auch nicht, denn wir waren bereits bei den Zellen. Wir wurden in ein rechteckiges Steingebäude getrieben und in einen großen offenen Raum geführt. Der Fußboden war mehrere Zentimeter hoch mit Wasser bedeckt. Die Wachen schrien: »Trek uit! Trek uit!« (»Zieht euch aus! Zieht euch aus!«) Während wir uns entkleideten, griffen die Wachen nach jedem Kleidungsstück, durchsuchten es rasch und warfen es dann ins Wasser.

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