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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Jacke aus, durchsucht, ins Wasser geworfen. Dann befahlen uns die Wachen, uns wieder anzuziehen, womit sie meinten, wir sollten in unsere nassen Kleidungsstücke steigen.
    Zwei Offiziere betraten den Raum. Der Rangniedere der beiden war ein Captain namens Gericke. Ihm sahen wir auf den ersten Blick an, daß er darauf aus war, uns brutal zu behandeln. Der Captain deutete auf Aaron Molete, den jüngsten von uns vier, ein sehr sanfter, rücksichtsvoller Mensch, und fragte: »Warum ist dein Haar so lang?« Aaron sagte nichts. Der Captain brüllte: »Ich rede mit dir! Warum ist dein Haar so lang? Das ist gegen die Vorschriften. Dein Haar hätte geschnitten werden sollen. Warum ist es lang?« Dann verstummte er und blickte zu mir und sagte, mit dem Finger auf mich deutend: »Wie bei diesem Boy.« Jetzt sagte ich: »Hören Sie mal, die Länge unseres Haars unterliegt Vorschriften…«
    Bevor ich den Satz zu Ende bringen konnte, rief er ungläubig: »Sprich niemals so zu mir, Boy!« und trat auf mich zu. Ich hatte Angst; es ist kein angenehmes Gefühl zu wissen, daß jemand dich schlagen will und du dich nicht wehren kannst.
    Als er nur noch einige Zentimeter von mir entfernt war, sagte ich so entschlossen, wie ich konnte: »Wenn Sie mich auch nur anrühren, werde ich Sie vor das Oberste Gericht im Land bringen, und wenn ich mit Ihnen fertig bin, werden Sie so arm sein wie eine Kirchenmaus.« In dem Augenblick, da ich zu sprechen anhob, verstummte er, und als ich schwieg, starrte er mich voller Verblüffung an. Ich war selbst ein bißchen verwundert. Ich hatte Angst gehabt, und nicht Mut hatte mich so sprechen lassen, sondern Angeberei, vorgetäuschter Mut. In solchen Situationen muß man eine kühne Haltung an den Tag legen, was auch immer man innerlich empfinden mag.
    »Wo ist dein Ticket?« fragte er, und ich gab es ihm. Ich konnte sehen, daß er nervös war. »Wie heißt du?« fragte er. Ich wies mit einem Nicken auf das Ticket und sagte: »Steht dort geschrieben.« Er fragte: »Wie lange wirst du hier sein?« Ich sagte wieder, auf das Ticket deutend: »Steht dort geschrieben.« Er blickte auf das Ticket und sagte: »Fünf Jahre! Du bist hier fünf Jahre, und du bist so arrogant! Weißt du, was es heißt, fünf Jahre abzusitzen?« Ich sagte: »Das ist meine Sache. Ich bin bereit, fünf Jahre abzusitzen, aber ich bin nicht bereit, mich schikanieren zu lassen. Sie haben sich an die Gesetze zu halten.«
    Niemand hatte ihm gesagt, wer wir waren, daß wir politische Gefangene waren, daß ich Rechtsanwalt war. Ich selbst hatte es nicht gesagt, doch der andere Offizier, ein hochgewachsener, ruhiger Mann, war während unserer Konfrontation verschwunden. Später erfuhr ich, daß es Colonel Steyn war, der Kommandeur von Robben Island. Der Captain ging dann, sehr viel ruhiger, als er es bei seinem Eintritt gewesen war.
     
     
    Dann waren wir unter uns, und Steve, dessen Nerven bloßlagen, konnte einfach nicht aufhören zu reden. »Wir haben den Boere provoziert«, sagte er. »Jetzt erwartet uns eine harte Zeit.« Er redete noch, als ein untersetzter Mann, ein Lieutenant Pretorius, eintrat. Zu unserer Überraschung sprach Pretorius zu uns in Xhosa, das er recht gut zu beherrschen schien. »Wir haben uns eure Akten angesehen, und die sind gar nicht so übel. Alle außer deinen«, sagte er zu Steve. »Deine Akte ist dreckig.«
    Steve explodierte. »Wer sind Sie, daß Sie so mit mir reden? Sie sagen, meine Akte ist dreckig. Sie haben die Unterlagen also gelesen, eh? Nun, Sie werden feststellen, alle Verurteilungen haben damit zu tun, daß ich für die Rechte meines Volkes eintrat. Ich bin kein Krimineller, der sind Sie.« Der Lieutenant warnte Steve, er werde ihn zur Meldung bringen, sollte er jemals wieder so zu ihm sprechen. Bevor er ging, sagte der Lieutenant, er werde uns gemeinsam in eine große Zelle verlegen mit Fenstern, die nach draußen gingen, und mit warnendem Unterton fügte er hinzu: »Aber ich möchte nicht, daß ihr mit irgend jemandem durch die Fenster sprecht, vor allem Sie nicht, Mandela.«
    Wir wurden dann in unsere Zelle gebracht, eine der besten, die ich je erlebt habe. Die Fenster waren groß und in bequemer Reichweite. Von einer Gruppe von Fenstern aus konnten wir andere Gefangene und Wärter sehen, wenn sie draußen vorbeigingen. Sie war geräumig, gewiß groß genug für uns vier, und hatte ihre eigenen Toiletten und Duschen.
    Es war ein anstrengender Tag gewesen, und kurze Zeit später, nach einem Abendessen

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