Der lange Weg zur Freiheit
relevanter sein. Moses bestand darauf, das sei unmöglich. Um meinen Einwand zu belegen, hatte ich Lius Essay für ein afrikanisches Publikum umgeschrieben.
Als erster Zeuge würde ich den Ton der Verteidigung festlegen. In südafrikanischen Gerichten können Zeugen ihre Aussagen nur als Antwort auf eine Frage machen. Ich wollte mich darauf nicht beschränken lassen. Wir beschlossen, ich solle, statt Aussagen zu machen, von der Anklagebank aus eine Erklärung verlesen, indes die anderen ihre Aussagen machen und ins Kreuzverhör genommen würden.
Weil ein Zeuge, der aus der Anklagebank eine Erklärung abgibt, nicht dem Kreuzverhör oder Fragen des Richters unterliegt, besitzt die Erklärung nicht das gleiche rechtliche Gewicht wie eine gewöhnliche Aussage. Wer sich dafür entscheidet, eine solche Erklärung abzugeben, will damit gewöhnlich ein Kreuzverhör vermeiden. Unsere Anwälte warnten mich, ich würde in eine prekäre juristische Situation geraten; alles, was ich in meiner Erklärung zu meiner Unschuld sagte, würde vom Richter nicht berücksichtigt werden. Aber das war nicht unsere höchste Priorität. Wir glaubten, daß es wichtig wäre, die Verteidigung mit einer Erklärung zu unserer Politik und unseren Idealen zu eröffnen, denn so würde der Kontext gesetzt für alles Folgende. Nur zu gern hätte ich mit Percy Yutar die Klingen gekreuzt, doch es war wichtiger, die Plattform zu nutzen, um unsere Beschwerden ins helle Licht zu stellen.
Über all diese Fragen waren wir uns in Beratungen einig geworden, vornehmlich mit Hilfe von Notizen, denn das Beratungszimmer wurde abgehört. Wir nutzten den Lauschangriff des Staates gar zu unserem Vorteil, indem wir falsche Informationen lieferten. Wir wiesen ständig darauf hin, daß ich aussagen würde, so daß die Gegenseite ihre Zeit damit verschwendete, sich auf ihr Kreuzverhör vorzubereiten. In einem gestellten Gespräch erklärte ich unserem Anwalt Joel Joffe, ich benötigte die Unterlagen des Hochverratsprozesses, um meine Aussage vorzubereiten. Wir lächelten bei der Vorstellung, Yutar werde sich in die rund 100 Bände mit Transkripten des Prozesses vertiefen.
Ich brauchte ungefähr zwei Wochen, um meine Ansprache zu entwerfen; ich arbeitete daran hauptsächlich abends in meiner Zelle. Als ich fertig war, las ich sie zunächst meinen Kameraden und Mitangeklagten vor. Sie billigten sie, schlugen aber einige Änderungen vor, und dann bat ich Bram Fischer um Durchsicht. Bram wirkte beim Lesen sehr besorgt und ließ das Manuskript noch von einem geachteten Anwalt namens Hal Hanson lesen. Hanson erklärte Bram: »Wenn Mandela dies im Gericht verliest, werden sie ihn sofort hinter das Gerichtsgebäude führen und aufknüpfen.« Diese Anmerkung bestätigte Brams Besorgnis, und er kam am nächsten Tag zu mir und drängte mich, die Rede zu modifizieren. Ich hatte das Gefühl, wir würden ohnehin hängen, was auch immer wir sagten, so könnten wir ebensogut sagen, was wir wirklich glaubten. Die Atmosphäre war zu diesem Zeitpunkt äußerst düster; die Zeitungen ließen sich ständig darüber aus, daß wir wohl die Todesstrafe erhielten. Bram bat mich, den Schlußabsatz nicht zu verlesen, doch ich blieb standhaft.
Am Montag, 20. April, wurden wir unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen zum Justizpalast gebracht; diesmal sollte unsere Verteidigung beginnen. Winnie war mit meiner Mutter gekommen, und ich nickte ihnen zu, als wir den Gerichtssaal betraten, der voll besetzt war.
Bram erklärte, bestimmte Teile des vom Staatsanwalt vorgelegten Beweismaterials wurden von den Angeklagten eingeräumt, und sofort kam im Gerichtssaal Gemurmel auf. Bram ließ allerdings die Feststellung folgen, die Verteidigung werde einer Anzahl von Behauptungen widersprechen, darunter auch der Behauptung, Umkhonto We Sizwe sei der militärische Flügel des ANC. Die Führer des MK und des ANC »bemühten sich, die beiden Organisationen voneinander völlig getrennt zu halten. Damit haben sie nicht immer Erfolg gehabt«, sagte Bram, »doch es wurden alle Anstrengungen unternommen, um dieses Ziel zu erreichen.« Nachdrücklich bestritt er, der ANC erhalte von der Kommunistischen Partei Befehle. Die Verteidigung weise die Behauptung zurück, daß Goldberg, Kathrada, Bernstein und Mhlaba Mitglieder des Umkhonto seien, sie werde nachweisen, daß der Umkhonto die Operation Mayibuye tatsächlich nicht angenommen und der MK nicht mit Vorbereitungen für den Guerillakrieg begonnen
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