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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Präfekten bestimmt. Präfekten sind auf den verschiedensten Ebenen verantwortlich, und neuernannte Präfekten bekommen die am wenigsten begehrten Aufgaben. Anfangs beaufsichtigte ich eine Gruppe von Studenten, die nachmittags, während unserer Zeit für körperliche Arbeit, Fenster zu putzen hatten. Jeden Tag führte ich sie zu diesem Zweck zu anderen Gebäuden.
    Ich erklomm die nächste Ebene von Präfektenpflichten, und das war der Nachtdienst. Das machte mir nichts aus, da ich nie Mühe gehabt habe, die ganze Nacht über aufzubleiben, doch bei einer Gelegenheit geriet ich in ein moralisches Dilemma, das mir in Erinnerung geblieben ist. Wir hatten in den Schlafsälen keine Toiletten, doch etwa dreißig Meter hinter der Unterkunft gab es für die Studenten ein separates Klosett. Wenn in Regennächten ein Student mitten in der Nacht aufwachte, war die Versuchung groß, sich einfach auf die Veranda zu stellen und in die Büsche zu urinieren. Niemand war darauf erpicht, durch Gras und Schlamm zur Außentoilette zu trotten. Natürlich verstieß eine solche Praxis strikt gegen die Vorschriften, und zur Aufgabe des Präfekten gehörte es, die Namen der Studenten aufzuschreiben, die von der Veranda urinierten.
    Eines Nachts, als ich Dienst hatte, schüttete es draußen nur so, und im Laufe der Nacht erwischte ich eine ganze Menge Studenten – so um die fünfzehn –, die nicht naß werden wollten und sich von der Veranda aus erleichterten. Gegen Morgen sah ich einen Burschen herauskommen, nach links und rechts blicken und sich dann ans Ende der Veranda stellen, um zu urinieren. Ich trat zu ihm und erklärte, er sei ertappt; worauf er sich umdrehte und ich erkannte, daß er selbst ein Präfekt war. Ich war in einer heiklen Lage. In der Rechtsprechung und in der Philosophie fragt man: »Quis custodiet ipsos custodes?« Wer soll die Wächter ihrerseits überwachen? Wenn der Präfekt die Vorschriften nicht befolgt, wie kann man dann erwarten, daß es die Studenten tun? Gleichzeitig stand ein Präfekt über dem Gesetz, weil er selbst das Gesetz war, und so konnte ein Präfekt einen anderen nicht zur Meldung bringen. Aber ich hielt es nicht für fair, den Präfekten zu verschonen, die anderen fünfzehn hingegen zu melden. Also zerriß ich meine Liste mit den fünfzehn Namen und meldete keinen.
     
     
    In meinem letzten Jahr in Healdtown ereignete sich etwas, das für mich dem Dahinblitzen eines Kometen über den Nachthimmel glich. Gegen Ende des Jahres wurden wir informiert, daß der große Xhosa-Poet Krune Mqhayi die Schule besuchen würde. Mqhayi war eigentlich ein »Imbongi«, ein Lobsänger, das heißt eine Art oraler Historiker, der gegenwärtige Geschehnisse und Geschichte mit einer Poesie versieht, die für sein Volk von besonderer Bedeutung ist.
    Der Tag seines Besuches wurde von der Schule zum Feiertag erklärt. Am Morgen des besagten Tages versammelte sich die ganze Schule, auch alle schwarzen und weißen Lehrkräfte, im Speisesaal, wo Schulversammlungen abgehalten wurden. Am einen Ende des Saals befand sich eine Bühne, und auf der Bühne gab es eine Tür, die zum Haus des Direktors führte. Die Tür selbst war nichts Besonderes, doch wir sahen in ihr die Direktorentür, denn bei allen Zusammenkünften, denen ich beiwohnte, schritt dort mit Ausnahme des Direktors niemand hindurch.
    Plötzlich öffnete sich die Tür, und heraus trat nicht der Direktor, sondern ein schwarzer Mann, bekleidet mit einem Leopardenfell-Kaross und einer entsprechenden Kopfbedeckung, in jeder Hand einen Speer. Der Direktor folgte einen Augenblick später, doch der Anblick eines schwarzen Mannes in Stammeskleidung, der durch jene Tür kam, war umwerfend. Die Wirkung, die das auf uns hatte, ist schwer zu erklären. Das Ereignis schien das Universum auf den Kopf zu stellen. Als Mqhayi auf der Bühne neben dem Direktor saß, konnten wir unsere Erregung kaum noch beherrschen.
    Doch als Mqhayi sich dann erhob, um zu sprechen, fühlte ich mich eingestandenermaßen enttäuscht. Ich hatte mir ein Bild von ihm gemacht, und in meiner jugendlichen Phantasie erwartete ich, daß ein Xhosa-Held wie Mqhayi ein hochgewachsener Mann sein würde mit einem grimmigen und intelligenten Gesicht. Doch so ungeheuer eindrucksvoll sah er gar nicht aus. Von seiner Kleidung abgesehen, machte er einen ganz gewöhnlichen Eindruck. Als er in der Xhosa-Sprache zu reden begann, tat er das sehr langsam und stockend. Häufig hielt er inne, um nach dem passenden Wort zu

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