Der lange Weg zur Freiheit
politische Meldungen vor unseren Aufsehern erfahren. Doch am folgenden Tag war offenkundig, daß unsere Aufseher Bescheid wußten, denn sie ließen ihren Ärger an uns ab. Die Spannung, die sich in Monaten gemildert hatte, erreichte plötzlich wieder ihre volle Stärke. Die Behörden begannen die politischen Gefangenen zu maßregeln, als ob sie dächten, wir hätten das Messer gehalten, das Verwoerd getroffen hatte.
Die Behörden hatten immer die Vorstellung, wir stünden in geheimer Verbindung zu allen Arten von Kräften draußen. Auch hatte sie die Welle erfolgreicher Guerilla-Angriffe der South West African People’s Organization (SWAPO) – einer Verbündeten des ANC – gegen die südafrikanischen Polizeikräfte in Namibia ziemlich entnervt. Meiner Ansicht nach hätten wir uns geschmeichelt fühlen sollen, daß die Regierung unsere wachsende militärische Fähigkeit für ausreichend hielt, ihr Staatsoberhaupt mit Erfolg zu eliminieren. Doch ihr Verdacht spiegelte lediglich die Unsicherheiten engstirniger, kurzsichtiger Männer wider, die nicht ihrer fehlgeleiteten Politik die Schuld an ihren Problemen gaben, sondern einem Gegner namens ANC.
Die gegen uns verhängten Strafen wurden niemals als offizielle Politik ausgegeben, sondern sie waren ein Wiederaufleben der rauhen Atmosphäre, die bei unserer Ankunft auf der Insel vorgeherrscht hatte. Der »Ruhige« wurde durch einen Mann ersetzt, der ein elender Leuteschinder war. Sein Name war Van Rensburg, und er wurde 24 Stunden nach Bekanntwerden der Ermordung Verwoerds auf die Insel geflogen. Sein Ruf ging ihm voraus, denn sein Name war unter Gefangenen ein anderes Wort für Brutalität.
Van Rensburg war ein großer, schwerfälliger, ungeschliffener Bursche, der nicht sprach, sondern brüllte. An seinem ersten Tag im Dienst bemerkten wir, daß er auf seinem Handgelenk eine kleine Tätowierung in Form eines Hakenkreuzes hatte. Doch es bedurfte nicht dieses feindseligen Symbols, um seine Grausamkeit zu beweisen. Seine Aufgabe bestand darin, uns das Leben so schwer wie möglich zu machen, und er verfolgte dieses Ziel mit großem Enthusiasmus.
Jeden Tag während der nächsten Monate beschuldigte Van Rensburg einen von uns der Insubordination oder der Drückebergerei. Jeden Morgen erörterten er und andere Aufseher, wer an diesem Nachmittag beschuldigt werden sollte. Es war eine Politik selektiver Einschüchterung, und die Entscheidung, wen es treffen sollte, wurde unabhängig davon getroffen, wie hart der jeweilige Gefangene an diesem Tag gearbeitet hatte. Wenn wir uns in unsere Zellen zurückschleppten, las Van Rensburg von einer Liste ab: »Mandela (oder Sisulu oder Kathrada), ich will, daß Sie sofort vor dem Gefängnisleiter erscheinen.«
Das Verwaltungsgericht der Insel machte Überstunden. Als Gegenreaktion bildeten wir unser eigenes Rechtskomitee, dem ich, Fikile Bam und Mac Maharaj angehörten. Mac hatte Jura studiert und war erfahren genug, die Behörden in die Defensive zu drängen. Fiks, der für einen akademischen Grad in Jura studierte, war ein gescheiter, findiger Bursche, der in unserem Block der Leiter des Gefangenenkomitees geworden war. Die Aufgabe unseres Rechtskomitees bestand darin, unsere Kameraden zu beraten, wie sie sich vor dem Verwaltungsgericht der Insel verhalten sollten.
Van Rensburg war kein schlauer Bursche, und während er sich im Steinbruch als Herr über uns aufspielte, gaben wir ihm vor Gericht das Nachsehen. Unsere Strategie bestand darin, mit ihm auf dem Feld nicht zu argumentieren, sondern seine Anschuldigungen vor Gericht zu widerlegen, wo wir unseren Fall vor ein wenig aufgeklärteren Beamten vertreten konnten. Vor dem Verwaltungsgericht wurde die Anschuldigung von dem Vorsitzenden Magistrate verlesen. »Drückeberger im Steinbruch«, verkündete er etwa, woraufhin Van Rensburg selbstgefällig schauen würde. Wenn die Beschuldigung in voller Länge vorgelesen war, gab ich meinen Kollegen stets den Rat, eins und nur dies eine zu tun: das Gericht um »weitere Einzelheiten« zu bitten. Das war das Recht dessen, der sich verteidigte, und obwohl diese Forderung regelmäßig vorgebracht wurde, geriet Van Rensburg fast jedesmal aus der Fassung. Das Gericht mußte sich anschließend vertagen, weil Van Rensburg sich erst »weitere Einzelheiten« beschaffen mußte.
Van Rensburg war auf vielfältige Weise rachsüchtig und kleinlich. Wenn das Essen im Steinbruch eintraf und wir uns zum Essen niedersetzen wollten – wir
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