Der lange Weg zur Freiheit
Augenbrauen hoch. »Zeitungen«, erklärte er. Walter und ich schauten uns an. Ich glaube, Walter war der einzige Mann auf Robben Island, der sich so nach Zeitungen sehnte wie sonst keiner. Mac hatte seinen Plan bereits mit dem Kommunikationskomitee erörtert, und obwohl wir beide Einwände gegen seine Methode hatten, hielten wir ihn nicht auf.
An diesem Abend eröffnete Mac dem Aufseher, er habe seine Fingerabdrücke auf der Packung Zigaretten, und wenn der alte Mann nicht kooperiere, werde er ihn dem kommandierenden Offizier melden. Aus Angst, entlassen zu werden und so seine Pension zu verlieren, versprach der Aufseher, alles zu tun, was Mac wollte. In den nächsten sechs Monaten bis zu seiner Versetzung schmuggelte der alte Mann Mac die jeweilige Tageszeitung zu. Mac faßte dann die Meldungen zusammen und reduzierte sie auf ein kleines Stück Papier, das unter uns zirkulierte. Der unglückliche Aufseher gewann nicht einmal den Wettbewerb.
Ich könnte kaum sagen, was wir im Steinbruch mehr produzierten, Kalk oder Gespräche. Um 1966 hatten die Aufseher eine Haltung des Laisser-faire angenommen; wir konnten sprechen, solange wir wollten, wenn wir nur arbeiteten. Wir standen in kleinen Gruppen herum, vier oder fünf Mann im Kreis, und sprachen den lieben langen Tag über alle Themen der Welt. Wir waren untereinander in ständiger Konversation begriffen, über feierliche Themen, aber auch durchaus alltägliche.
Am Gefängnis ist nichts, was einen erfreuen könnte, mit einer möglichen Ausnahme. Man hat Zeit zum Nachdenken. Im Eifer des Kampfes, wenn man ständig auf neue Umstände reagieren muß, hat man kaum die Möglichkeit, alle die Verästelungen einer Entscheidung oder einer Politik sorgsam zu überdenken. Das Gefängnis bietet Zeit – mehr als genug Zeit –, darüber nachzudenken, was man getan und was man unterlassen hat.
Ständig waren wir in politische Debatten verwickelt. Einige Debatten waren an einem Tag erledigt, andere wurden über Jahre hin erörtert. Ich habe das Hin und Her des Debattierens immer gemocht, und war stets bereit, mich daran zu beteiligen. Eine unserer frühesten und längsten Debatten betraf die Beziehung zwischen ANC und Kommunistischer Partei. Einige Männer, vor allem MK-Soldaten, die in sozialistischen Ländern ausgebildet worden waren, glaubten, der ANC und die KP seien ein und dasselbe. Selbst einige ältere ANC-Kollegen, wie Govan Mbeki und Harry Gwala, unterschrieben diese Theorie.
Die KP war auf Robben Island nicht eine in sich abgeschlossene Einheit. Im Gefängnis hatte es keinen Sinn, zwischen ANC und KP in der Weise zu unterscheiden, wie das draußen der Fall sein mochte. Meine eigene Auffassung zu diesem Thema war in vielen Jahren unverändert. Der ANC war eine Massenbewegung, die alle willkommen hieß, die sich den gleichen Zielen verschrieben hatten.
Im Laufe der Zeit wurde die Debatte über den ANC und die KP immer schärfer. Eine Anzahl von uns schlug einen Weg vor, die Debatte zu beenden: Wir sollten dem ANC im Exil schreiben. Wir setzten ein gemeinsames 22-Seiten-Dokument zum Thema auf, das mit einem Brief von mir nach Lusaka geschickt werden sollte. Es war gefährlich, ein solches Dokument zu verfassen und nach draußen zu schmuggeln. Am Ende bestätigte Lusaka die Trennung von ANC und KP, und die Auseinandersetzung ebbte allmählich ab.
Eine andere politische Diskussion, die immer wieder aufgegriffen wurde, kreiste um das Thema, ob die ANC-Führung aus der Arbeiterklasse stammen sollte oder nicht. Einige argumentierten, da der ANC eine Massenorganisation sei, die sich hauptsächlich aus einfachen Arbeitern zusammensetzte, solle die Führung auch aus ihren Reihen stammen. Ich hielt dagegen, es sei genauso undemokratisch, zu fordern, die Führer sollten aus der Arbeiterklasse kommen, wie zu erklären, sie sollten bürgerliche Intellektuelle sein. Wenn die Bewegung auf einem solchen Grundsatz bestanden hätte, wären die meisten ihrer Führer, Männer wie Häuptling Luthuli, Moses Kotane, Dr. Dadoo, nicht wählbar gewesen. Revolutionäre kommen aus allen Klassen.
Nicht alle Debatten waren politischer Natur. Ein Thema, das viele Diskussionen auslöste, war die Beschneidung. Einige unter uns behaupteten, die Beschneidung, wie sie von den Xhosa und anderen Stämmen praktiziert werde, sei nicht nur eine unnötige Verstümmelung des Körpers, sondern eine Rückkehr zu jenem Typ von Tribalismus, den der ANC zu überwinden trachte. Das war kein abwegiges
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