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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Winnie, den Kindern oder Enkelkindern bekam, klebte ich es sorgfältig hinein. Dieses Album schätzte ich sehr: Es war die einzige Möglichkeit, die geliebten Menschen zu sehen, wann ich wollte.
    Aber im Gefängnis hat jede Vergünstigung einen Haken. Man hatte mir zwar erlaubt, die Bilder in Empfang zu nehmen und das Album zusammenzustellen, aber die Aufseher durchsuchten oft meine Zelle und beschlagnahmten Fotos von Winnie. Irgendwann nahmen sie mir die Bilder schließlich nicht mehr weg, und das Album wurde dicker von den Bildern der ganzen Familie.
    Wer mich als erster bat, ihm das Album zu leihen, weiß ich nicht mehr, aber es war zweifellos jemand aus meinem Block. Ich gab es ihm gern, dann einem anderen, und noch einem dritten. Bald war es allgemein bekannt, daß ich ein Fotoalbum besaß, und jetzt kamen auch Anfragen von den Leuten in F und G.
    Die Leute in F und G bekamen kaum Besuch oder auch nur Briefe, und es wäre kleinlich gewesen, ihnen dieses Fenster zur Außenwelt zu verweigern. Aber es dauerte nicht lange, da war mein kostbares Album zerfleddert, und viele von meinen unersetzlichen Bildern fehlten. Diese Männer waren verzweifelt bemüht, ihren Zellen etwas Persönliches zu geben, und deshalb konnten sie nicht anders. Jedesmal, wenn so etwas geschah, beschloß ich, das Album neu zu ordnen.
    Manchmal bat mich jemand nicht um das Album, sondern nur um ein Bild. Ich weiß noch, wie eines Tages ein junger BC-Mann aus dem allgemeinen Abschnitt, der uns das Essen brachte, mich beiseite nahm und sagte: »Madiba, ich hätte gern ein Foto.« Ich erwiderte, ich würde ihm eines schicken. »Wann?« fragte er recht schroff. Ich erklärte, ich würde es am Wochenende versuchen. Das schien ihn zufriedenzustellen, und er entfernte sich, aber plötzlich drehte er sich um und sagte: »Hör mal, schick mir kein Foto von der alten Dame, sondern eines von den jungen Mädchen, Zindzi oder Zeni – denk dran, keines von der alten Dame!«
     
     
    Im Jahr 1978, nachdem wir uns fast 15 Jahre lang um das Recht auf politische Information bemüht hatten, machten uns die Behörden ein Kompromißangebot. Sie erlaubten uns zwar nicht, Zeitungen zu lesen oder Radio zu hören, aber sie richteten einen eigenen Nachrichtendienst ein: Jeden Tag wurde uns über die Sprechanlage des Gefängnisses ein Tonband mit den zusammengefaßten Tagesnachrichten vorgespielt.
    Diese »Sendungen« waren bei weitem nicht objektiv oder vollständig. Mehrere Zensoren der Insel stellten dafür aus anderen Rundfunkverlautbarungen einen kurzen Überblick her. Es handelte sich ausschließlich um gute Nachrichten für die Regierung und um schlechte Nachrichten für ihre Gegner.
    Die erste »Sendung« begann mit einem Bericht über den Tod von Robert Sobukwe. Andere Nachrichten der ersten Zeit betrafen die Siege der Armee von Ian Smith in Rhodesien und die Festnahme von Regierungsgegnern in Südafrika. Obwohl es sich um sehr tendenziöse Meldungen handelte, waren wir froh, daß wir sie hatten, und wir bildeten uns etwas darauf ein, daß wir zwischen den Zeilen lasen und anhand der offenkundigen Auslassungen begründete Vermutungen anstellen konnten.
    Im gleichen Jahr erfuhren wir über die Sprechanlage, daß P. W. Botha der Nachfolger John Vorsters als Premierminister geworden war. Die Aufseher erzählten uns nicht, warum Vorster zurückgetreten war: Der Grund waren Anschuldigungen in der Presse, das Informationsministerium habe staatliche Mittel mißbraucht. Über Botha wußte ich wenig, abgesehen von der Tatsache, daß er ein aggressiver Verteidigungsminister gewesen war und 1975 eine Militärintervention in Angola befürwortet hatte. Wir hatten nicht den Eindruck, daß er sich in irgendeiner Form als Reformer erweisen würde.
    Kurz zuvor hatte ich eine autorisierte Biographie über Vorster gelesen (es war eines der Bücher, die in der Gefängnisbibliothek vorhanden waren), und dabei hatte ich erfahren, daß er ein Mann war, der zu seinen Überzeugungen stand: Im Zweiten Weltkrieg hatte er im Gefängnis gesessen, weil er Deutschland unterstützt hatte. Daß Vorster ging, bedauerten wir nicht. Er hatte den Kampf gegen die Freiheit zu neuen Höhepunkten der Unterdrückung geführt.
    Auch ohne unsere gereinigten Nachrichtensendungen hatten wir erfahren, was die Regierung uns nicht mitteilen wollte. Wir hörten von den erfolgreichen Befreiungskämpfen in Mosambik und Angola im Jahr 1975, bei denen diese Länder unabhängige Staaten mit Revolutionsregierungen

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