Der lange Weg zur Freiheit
nicht besonders, aber mich beschäftigte eine umfassendere Frage: Waren wir tatsächlich bei einer Geisteshaltung stehengeblieben, die nicht mehr revolutionär war? Wir saßen seit über 15 Jahren im Gefängnis, bei mir selbst waren es sogar fast 18 Jahre. Die Welt, die wir verlassen hatten, gab es schon lange nicht mehr. Es bestand die Gefahr, daß unsere Ideen in dieser Zeit stehengeblieben waren. Das Gefängnis ist ein Fixpunkt in einer sich wandelnden Welt, und man kann in der Haft sehr leicht an einer Stelle stehenbleiben, während die Welt sich weiterbewegt.
Ich hatte immer versucht, offen für neue Vorstellungen zu bleiben und keinen Standpunkt nur deshalb abzulehnen, weil er neu oder anders war. In den ganzen Jahren auf der Insel führten wir einen ständigen Dialog über unsere Überzeugungen und Ideen; wir diskutierten darüber, stellten sie in Frage und entwickelten sie auf diese Weise weiter. Ich glaube nicht, daß wir stehenblieben; nach meiner Überzeugung hatten wir uns gewandelt.
Robben Island öffnete sich zwar immer stärker, aber immer noch gab es keinerlei Anzeichen, daß der Staat seinen Standpunkt ändern würde. Dennoch hatte ich keinen Zweifel, daß ich irgendwann ein freier Mensch sein würde. Wir saßen vielleicht an einer Stelle fest, aber ich war zuversichtlich, daß die Welt sich auf unsere Position zu und nicht von ihr weg bewegen würde. Der Film erinnerte mich wieder einmal daran, daß ich an dem Tag, an dem ich aus dem Gefängnis schritt, nicht wie ein politisches Fossil aus einer längst vergangenen Zeit wirken wollte.
Es hatte 15 Jahre gedauert, als die Behörden 1979 über die Sprechanlage bekanntgaben, afrikanische, farbige und indische Häftlinge würden von nun an die gleiche Verpflegung erhalten. Aber verzögerte Gerechtigkeit ist verweigerte Gerechtigkeit, und eine Reform, die so lange hinausgeschoben und so widerwillig vollzogen wurde, war des Feierns kaum wert.
Alle Häftlinge sollten morgens die gleiche Menge Zucker bekommen: eineinhalb Löffel voll. Aber statt die Zuteilung für Afrikaner anzuheben, verminderten die Behörden die Zuckermenge für die farbigen und indischen Gefangenen um einen halben Löffel, und diese Menge schlugen sie den Afrikanern zu. Kurz zuvor hatten die Afrikaner auch zum erstenmal morgens Brot bekommen, aber das machte kaum einen Unterschied: Schon seit Jahren hatten wir das Brot zusammengelegt.
Die Verpflegung hatte sich in den vorangegangenen zwei Jahren bereits verbessert, aber das lag nicht an den Behörden. Im Gefolge der Unruhen von Soweto hatte man den Beschluß gefaßt, die Insel ausschließlich zur Unterbringung von Südafrikas »Hochsicherheitshäftlingen« zu benutzen. Die Zahl der allgemeinen Gefangenen hatte drastisch abgenommen. Infolgedessen wurden die politischen Häftlinge nun erstmals zum Küchendienst herangezogen. Und als in der Küche erst einmal politische Gefangene arbeiteten, verbesserte sich die Verpflegung erheblich – nicht weil sie bessere Köche gewesen wären, sondern weil der Lebensmittelschmuggel umgehend aufhörte. Statt Eßbares für sich selbst abzuzweigen oder die Aufseher damit zu bestechen, verbrauchten die neuen Köche alles, was ihnen für uns zugeteilt wurde. Es gab mehr Gemüse, und in den Suppen und Eintopfgerichten tauchten auf einmal Fleischbrocken auf. Erst jetzt wurde uns klar, daß wir schon seit Jahren so hätten essen sollen.
Als wir einmal im Sommer 1979 auf dem Gefängnishof Tennis spielten, schlug mein Gegner einen Ball schräg über das Feld, so daß ich mich anstrengen mußte, um noch heranzukommen. Als ich über den Platz rannte, spürte ich auf einmal einen so starken Schmerz in der rechten Ferse, daß ich das Spiel abbrechen mußte. Die nächsten paar Tage humpelte ich stark.
Ein Arzt, der mich auf der Insel untersuchte, kam zu dem Schluß, ich müsse einen Spezialisten in Kapstadt aufsuchen. Die Behörden waren jetzt stärker um unsere Gesundheit besorgt, denn sie hatten Angst vor der Ächtung durch die Staatengemeinschaft, wenn wir im Gefängnis starben.
Unter normalen Umständen hätten die anderen Männer und ich einen Besuch in Kapstadt genossen, aber als Häftling dorthin zu fahren, war etwas ganz anderes. Ich trug Handschellen und wurde in einer Ecke des Schiffes von fünf bewaffneten Aufsehern bewacht. Das Meer war an diesem Tag unruhig, und das Schiff zitterte bei jeder Welle. Etwa auf halbem Weg zwischen der Insel und Kapstadt glaubte ich, wir würden
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