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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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getroffen hatte. Ich wollte Zeit haben, um über die Auswirkungen der Verlegung nachzudenken. Warum hatte der Staat diesen Schritt unternommen?
    Es wäre übertrieben, es als Offenbarung zu bezeichnen, doch im Laufe der nächsten paar Tage und Wochen gelangte ich zu einer Erkenntnis über meine neuen Lebensumstände. Die Veränderung, entschied ich, war keine Beeinträchtigung, sondern eine Chance. Ich war nicht glücklich, von meinen Kollegen getrennt zu sein, und ich vermißte meinen Garten und die sonnige Terrasse im dritten Stock. Doch meine Einsamkeit verschaffte mir eine gewisse Freiheit, und ich beschloß, sie zu nutzen, um etwas zu tun, das ich schon lange erwogen hatte: Diskussionen mit der Regierung zu beginnen. Ich war zu dem Schluß gelangt, die Zeit sei gekommen, den Kampf am besten durch Verhandlungen zu fördern. Wenn wir nicht bald einen Dialog beginnen würden, so würden beide Seiten in eine dunkle Nacht von Unterdrückung, Gewalt und Krieg gestürzt. Meine Einsamkeit würde mir die Chance geben, die ersten Schritte in diese Richtung zu tun, und zwar ohne die Art von Beaufsichtigung, die solche Bemühungen vielleicht vereiteln würde.
    Wir hatten ein dreiviertel Jahrhundert lang gegen die Herrschaft der weißen Minderheit gekämpft. Seit mehr als zwei Jahrzehnten standen wir im bewaffneten Kampf. Viele Menschen auf beiden Seiten hatten schon ihr Leben verloren. Der Feind war stark und entschlossen. Doch trotz all seiner Bomber und Panzer mußte er gespürt haben, daß er auf der falschen Seite der Geschichte stand. Wir hatten das Recht auf unserer Seite, aber noch keine Macht. Mir war klar, daß ein militärischer Sieg ein ferner, wenn nicht unmöglicher Traum war. Es war einfach sinnlos für beide Seiten, in einem unnötigen Konflikt Tausende, wenn nicht Millionen von Leben zu opfern. Das mußte ihnen auch klar sein. Es war an der Zeit, miteinander zu reden.
    Das würde extrem heikel werden. Beide Seiten betrachteten Diskussionen als Anzeichen von Schwäche und Verrat. Keiner würde an den Verhandlungstisch kommen, solange die andere Seite keine bedeutsamen Zugeständnisse machte. Die Regierung behauptete immer wieder, wir seien eine terroristische Organisation von Kommunisten und mit Terroristen oder Kommunisten würde sie niemals reden. Das war das Dogma der National Party. Der ANC behauptete immer wieder, die Regierung sei faschistisch und rassistisch und es gebe nichts zu bereden, solange sie nicht das Verbot des ANC aufhob, alle politischen Gefangenen bedingungslos freiließ und die Truppen aus den Townships abzog.
    Die Entscheidung, mit der Regierung zu reden, war von solcher Bedeutung, daß sie eigentlich nur in Lusaka hätte getroffen werden dürfen. Aber ich spürte, daß der Prozeß in Gang kommen mußte und ich weder die Zeit noch die Mittel für eine uneingeschränkte Kommunikation mit Oliver hatte. Jemand von unserer Seite mußte den ersten Schritt tun, und meine neue Isolation gab mir sowohl die Freiheit dazu als auch die Sicherheit, daß meine Bemühungen, zumindest für eine Weile, vertraulich bleiben würden.
     
     
    Ich befand mich nun in einer Art Splendid Isolation. Obwohl meine Kollegen nur drei Stockwerke über mir waren, hätten sie genausogut in Johannesburg einsitzen können. Um sie zu sehen, mußte ich einen formellen Besuchsantrag stellen, welcher der Genehmigung der Zentrale in Pretoria bedurfte. Oft dauerte es Wochen, bis man eine Antwort erhielt. Wenn die Genehmigung erteilt wurde, durfte ich sie im Besucherbereich treffen. Das war eine neue Erfahrung: meine Kameraden und Mitgefangenen waren nun offizielle Besucher. Jahrelang hatten wir täglich stundenlang miteinander reden können. Nun mußten wir offizielle Anträge stellen und Termine vereinbaren, und unsere Unterhaltungen wurden überwacht.
    Nachdem ich ein paar Tage in meinen neuen Zellen verbracht hatte, bat ich den kommandierenden Offizier, ein solches Treffen zu arrangieren. Das tat er, und so diskutierten wir zu viert über meine Verlegung. Walter, Kathy und Ray waren wütend, daß man uns getrennt hatte. Sie wollten einen geharnischten Protest einlegen und verlangen, daß wir wieder zusammengelegt würden. Meine Antwort war nicht das, was sie erwartet hatten. »Hört mal, Freunde«, sagte ich, »ich glaube nicht, daß wir uns dieser Sache widersetzen sollten.« Ich erwähnte, meine neue Unterbringung sei besser und vielleicht würde das ein Präzedenzfall für alle politischen Gefangenen. Dann fügte ich

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