Der lange Weg zur Freiheit
dem Colonel durch die 15 verschlossenen Metalltüren zwischen meiner Zelle und dem Eingang, und als wir hinaustraten, stellte ich fest, daß sein Wagen uns erwartete.
Auf der schönen Straße, die parallel zur Küste verläuft, fuhren wir nach Kapstadt hinein. Er hatte kein bestimmtes Ziel im Sinn und kurvte einfach müßig durch die Stadt. Es war absolut fesselnd, die einfachen Aktivitäten der Menschen draußen in der Welt zu beobachten: alte Männer, die in der Sonne saßen, Frauen beim Einkaufen, Leute, die ihre Hunde spazierenführten. Genau diese profanen Aktivitäten des Alltagslebens vermißt man im Gefängnis am meisten. Ich fühlte mich wie ein neugieriger Tourist in einem fremden und bemerkenswerten Land.
Nach etwa einer Stunde hielt der Colonel den Wagen vor einem kleinen Laden in einer ruhigen Straße an. »Möchten Sie etwas Kaltes trinken?« fragte er. Ich nickte, und er verschwand in dem Laden. Ich saß allein da. In den ersten paar Augenblicken dachte ich nicht an meine Situation, doch als die Sekunden vergingen, wurde ich immer erregter. Zum erstenmal seit 22 Jahren war ich draußen in der Welt und unbewacht. Ich hatte die Vision, die Tür zu öffnen, herauszuspringen und dann zu rennen und zu rennen, bis ich außer Sicht war. Irgend etwas in meinem Inneren drängte mich, genau das zu tun. Ich bemerkte in der Nähe der Straße ein bewaldetes Gelände, wo ich mich verstecken könnte. Ich war extrem angespannt und begann zu schwitzen. Wo war der Colonel? Doch dann beherrschte ich mich; ein solches Vorgehen wäre unklug und unverantwortlich gewesen, von der Gefahr ganz zu schweigen. Vielleicht war die gesamte Situation sogar darauf angelegt, mich zu einem Fluchtversuch zu verleiten, obwohl ich das nicht glaube. Ich war sehr erleichtert, als ich den Colonel ein paar Augenblicke später mit zwei Dosen Coca-Cola zum Wagen zurückkommen sah.
Wie sich herausstellte, war dieser Tag in Kapstadt der erste von vielen Ausflügen. In den nächsten paar Monaten fuhr ich wieder mit dem Captain aus, nicht nur nach Kapstadt, sondern auch zu einigen Sehenswürdigkeiten rund um die Stadt, ihren schönen Stränden und malerischen, kühlen Bergen. Bald durften mich andere, jüngere Offiziere herumführen. Einer der Orte, die ich mit diesen jüngeren Offizieren regelmäßig besuchte, war als »die Gärten« bekannt, eine Reihe kleiner Felder am Rande des Gefängnisgeländes, wo Gemüse für die Küche des Gefängnisses angebaut wurde. Ich genoß es, draußen in der Natur zu sein, den Horizont sehen zu können und die Sonne auf meinen Schultern zu spüren.
Eines Tages ging ich mit einem Captain zu den Gärten, und nachdem wir durch die Felder spaziert waren, schlenderten wir hinüber zu den Ställen. Zwei junge weiße Männer in Overalls arbeiteten dort mit den Pferden. Ich ging zu ihnen hinüber, lobte eines der Tiere und sagte zu dem Burschen: »Na, wie heißt dieses Pferd?« Der junge Mann schien ziemlich nervös und sah mich nicht an. Dann murmelte er den Namen des Pferdes, aber zum Captain gewandt, nicht zu mir. Dann fragte ich den anderen jungen Mann, wie sein Pferd heiße, und er reagierte genauso.
Auf dem Rückweg zum Gefängnis sagte ich zu dem Captain, das Verhalten der beiden jungen Männer sei mir eigenartig vorgekommen. Der Captain lachte. »Mandela, wissen Sie nicht, was diese beiden Burschen waren?« Ich verneinte. »Das waren weiße Häftlinge. Sie sind noch nie zuvor in Gegenwart eines weißen Offiziers von einem eingeborenen Gefangenen etwas gefragt worden.«
Einige der jüngeren Wärter führten mich ziemlich weit hinaus, und wir spazierten am Strand entlang und machten sogar in einem Cafe Rast, um Tee zu trinken. An solchen Orten versuchte ich oft festzustellen, ob die Leute mich erkannten, aber niemand tat das jemals; das letzte veröffentlichte Bild von mir war 1962 aufgenommen worden.
Diese Ausflüge waren in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Ich sah, wie das Leben sich in der Zeit meiner Abwesenheit verändert hatte, und weil wir hauptsächlich weiße Gegenden besuchten, sah ich den außerordentlichen Reichtum und die Ruhe, deren sich die Weißen erfreuten. Obwohl das Land in Aufruhr war und die Townships am Rande des offenen Krieges standen, ging das Leben der Weißen friedlich und ungestört weiter. Sie waren davon nicht betroffen. Einmal nahm mich einer der Wärter, ein sehr netter junger Warrant Officer namens Brand, sogar mit in die Wohnung seiner Familie und machte mich mit seiner Frau und
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