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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Wie ich es sah, ging die Sackgasse auf den anhaltenden Widerstand der National Party zurück, ihr Schicksal dem Willen der Mehrheit zu unterwerfen. Sie konnte diese Hürde einfach nicht nehmen.
    Schließlich scheiterte CODESA 2 an vier fundamentalen Fragen: am Beharren der Regierung auf einem unannehmbar hohen Prozentsatz von Stimmen in der Versammlung zur Verabschiedung der Verfassung (im wesentlichen ein Hintertür-Veto); am vorgesehenen Einfluß der Regionen, der sich auf eine zukünftige Verfassung auswirken würde; an dem undemokratischen, nicht gewählten Senat, der die Gesetzgebung der Hauptkammer mit einem Veto belegen konnte; und an der Entschlossenheit, eine Interimsverfassung zu erstellen, die von der Versammlung auf dem Wege von Verhandlungen in eine permanente Verfassung zu verwandeln wäre.
    Dies waren alles schwierige, aber nicht unlösbare Fragen, und ich war entschlossen, zu verhindern, daß die Sackgasse bei CODESA 2 den Verhandlungsprozeß zum Scheitern brachte. Die Regierung und der ANC kamen überein, bilaterale Gespräche fortzuführen und auf diese Weise zu einer Lösung zu gelangen. Doch dann drängten sich andere Fragen in den Vordergrund und machten dies unmöglich.
     
     
    Als die Verhandlungen festgefahren waren, beschlossen der ANC und seine Verbündeten eine Politik der »rollenden Massenaktion«, die der Regierung das Ausmaß unserer Unterstützung im ganzen Lande vor Augen führen und ihr zeigen sollte, daß die Menschen von Südafrika nicht bereit waren, bis in alle Ewigkeit auf ihre Freiheit zu warten. Die Massenaktion sollte aus Streiks, Demonstrationen und Boykotts bestehen. Sie sollte am 16. Juni 1992 beginnen, am Jahrestag des Aufstands von Soweto im Jahre 1976, und die Kampagne sollte in einem zweitägigen landesweiten Streik am 3. und 4. August gipfeln.
    Doch ehe es dazu kam, trat ein Ereignis ein, das den ANC und die Regierung noch weiter auseinandertrieb. In der Nacht des 17. Juni 1992 überfiel eine schwerbewaffnete Gruppe von Inkatha-Mitgliedern heimlich die Vaal-Township von Boipatong und brachte 46 Menschen um. Die meisten der Ermordeten waren Frauen und Kinder. Es war der vierte Massenmord an ANC-Anhängern in jener Woche. Die Menschen überall im Lande waren entsetzt über die Gewalttat und bezichtigten die Regierung der Komplizenschaft. Die Polizei unternahm nichts, um die Verbrecher aufzuhalten, und auch nichts, um sie zu finden; es wurden keine Verhaftungen vorgenommen, und eine Untersuchung war auch nicht in Gang gesetzt worden. Mr. de Klerk sagte nichts. Ich empfand dies als unerträglich, und meine Geduld näherte sich dem Ende. Die Regierung blockte die Verhandlungen ab und führte gleichzeitig einen geheimen Krieg gegen unsere Leute. Warum sollten wir weiterhin mir ihr sprechen?
    Vier Tage nach den Morden sprach ich zu einer Menge von 20 000 wütenden ANC-Anhängern und erklärte ihnen, ich hätte den ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa angewiesen, direkte Gespräche mit der Regierung auszusetzen. Ich kündigte ferner eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Exekutivkomitees an, das unsere Optionen überprüfen solle. Es war, als seien wir zu den schwarzen Tagen von Sharpeville zurückgekehrt. Ich verglich das Verhalten der National Party mit dem der Nazis in Deutschland, und ich warnte Mr. de Klerk öffentlich, daß der ANC für den Fall, daß er versuchen sollte, neue Maßnahmen zur Eindämmung von Demonstrationen oder freien Meinungsäußerungen anzuordnen, eine landesweite Mißachtungskampagne starten werde, mit mir als dem ersten Freiwilligen.
    Bei dem Protestmarsch sah ich Spruchbänder mit Aufschriften wie »MANDELA, GIB UNS WAFFEN« und »SIEG DURCH KAMPF, nicht durch Gespräche«. Ich verstand solche Regungen; die Menschen waren frustriert. Sie sahen keine positiven Ergebnisse der Verhandlungen. Allmählich fingen sie an zu glauben, der einzige Weg zur Überwindung der Apartheid führe über den Gewehrlauf. Nach Boipatong waren aus dem NEC Stimmen zu hören, die erklärten: »Warum haben wir den bewaffneten Kampf aufgegeben? Wir sollten besser die Verhandlungen aufgeben, sie werden uns nie zum Ziel führen.« Anfangs sympathisierte ich mit dieser Gruppe von Hardlinern, doch allmählich ging mir auf, daß es für den Prozeß keine Alternative gab. Auf ihn hatte ich so viele Jahre gedrängt, und ich wollte den Verhandlungen jetzt nicht den Rücken kehren. Doch es war höchste Zeit, die Lage zu entspannen. Massenaktionen waren in diesem Fall ein

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