Der lange Weg zur Freiheit
Mittelweg zwischen bewaffnetem Kampf und Verhandlungen. Die Menschen mußten für ihren Ärger und ihre Frustration ein Ventil haben, und eine Massenaktionskampagne war der richtige Weg zur Kanalisierung solcher Emotionen.
Als wir die Regierung darüber informierten, daß wir die Gespräche aussetzten, sandten wir gleichzeitig Mr. de Klerk ein Memorandum, in dem wir die Gründe für unseren Rückzug umrissen. Außer der Fortführung der festgefahrenen Verhandlungen über Verfassungsfragen bei der CODESA forderten wir die Ermittlung der für Gewalttaten verantwortlichen Leute und ihre Anklage vor Gericht sowie die Absperrung und polizeiliche Überwachung der Heime, diesen Brutstätten der Gewalt. Mr. de Klerk schickte uns seinerseits ein Memorandum, in dem er um ein Gespräch unter vier Augen mit mir bat, was ich ablehnte. Nach meinem Empfinden würde ein solches Treffen den Gedanken nahelegen, wir hätten etwas zu besprechen, doch zu dieser Zeit hatten wir nichts zu bereden.
Die Massenkampagne kulminierte am 3. und 4. August in einem Generalstreik für die ANC-Forderungen nach Verhandlungen und gegen die vom Staat unterstützten Gewalttaten. Mehr als vier Millionen Arbeiter blieben zu Hause; es war der größte politische Streik in der Geschichte Südafrikas. Hauptbestandteil des Streiks war ein Marsch von 100000 Menschen zu den Union Buildings in Pretoria, dem imposanten Sitz der südafrikanischen Regierung, wo wir auf dem großen Rasen vor den Gebäuden eine riesige Versammlung unter freiem Himmel abhielten. Ich versprach der Menge, daß wir eines Tages dieses Gebäude als erste demokratisch gewählte Regierung Südafrikas mit Beschlag belegen würden.
Angesichts dieser Massenaktion erklärte Mr. de Klerk, wenn der ANC das Land unregierbar mache, sähe sich die Regierung womöglich gezwungen, einige unangenehme Maßnahmen in Erwägung zu ziehen. Ich warnte Mr. de Klerk, alle antidemokratischen Aktionen würden zu ernsten Erschütterungen führen. Wegen solch drohender Gefahren, erklärte ich, sei es absolut dringlich, eine Übergangsregierung zu installieren.
Unter dem Eindruck des Erfolgs der Massenaktionskampagne beschloß eine Gruppe innerhalb des ANC, nach Bisho zu marschieren, der Hauptstadt des Ciskei-Homeland am östlichen Kap, eines von Brigadegeneral Oupa Gqozo geführten Bantustan. Die Ciskei hatte seit langem den ANC unterdrückt, und 1991 hatte Brigadier Gqozo in der Ciskei den Notstand ausgerufen, um den, wie er es nannte, vom ANC geförderten Terrorismus einzudämmen. Am 7. September 1992 setzten sich 70000 Protestierer in Marsch auf das Hauptstadion von Bisho. Als eine Gruppe von Marschierern versuchte, durch eine Zaunöffnung zu laufen und einen anderen Weg in die Stadt zu nehmen, eröffneten die mangelhaft ausgebildeten Homeland-Truppen das Feuer auf die Marschierenden und töteten 29 Menschen; über 200 wurden verletzt. Wie Boipatong stand hinfort auch Bisho als Inbegriff von Brutalität.
Wie in dem alten Sprichwort, das besagt, die dunkelste Stunde liege vor Tagesanbruch, führte die Tragödie von Bisho zu einem Neubeginn der Verhandlungen. Ich traf mich mit Mr. de Klerk, um eine gemeinsame Grundlage zu sondieren und eine Wiederholung der Tragödie von Bisho zu verhindern. Unsere Unterhändler trafen sich von nun an regelmäßig. Beide Seiten unternahmen einvernehmlich große Anstrengungen, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen, und am z6. September kamen Mr. de Klerk und ich zu einem offiziellen Gipfeltreffen zusammen.
An jenem Tag unterzeichneten Mr. de Klerk und ich den Record of Understanding, eine Vereinbarung, die das Modell abgab für alle Verhandlungen, die folgen sollten. Die Vereinbarung sah ein unabhängiges Gremium vor, das Polizeiaktionen überprüfen sollte, entwarf Maßnahmen zur Einfriedung der Heime und verbot das Mitführen von »traditionellen Waffen« bei Protestmärschen. Die eigentliche Bedeutung der Vereinbarung lag darin, daß sie den Stillstand der CODESA-2-Verhandlungen über Verfassungsfragen überwand. Die Regierung willigte schließlich ein, eine einzige gewählte verfassunggebende Versammlung zu akzeptieren, die eine neue Verfassung annehmen und als Übergangslegislative für eine neue Regierung dienen sollte. Es blieben nur noch Verhandlungen über ein Datum für die Wahl zur Versammlung und über den Prozentsatz von Mehrheiten, die für Entscheidungen notwendig wären. Wir waren uns nunmehr einig über das grundlegende Gerüst, welches
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