Der lange Weg zur Freiheit
hatte keineswegs vergessen, daß es Dr. Xuma gewesen war, der versucht hatte, mir zu helfen, meinen ersten Arbeitsplatz zu bekommen, als ich zehn Jahre zuvor nach Johannesburg gekommen war, ohne den leisesten Gedanken daran, in die Politik zu gehen. Als Mitglied des Nationalen Exekutivkomitees war ich zusammen mit den dienstältesten Leuten des ANC gleichsam in der ersten Mannschaft. Aus dem einstigen Störenfried innerhalb der Organisation war ich zum Teilhaber an jener Macht geworden, gegen die ich einst rebelliert hatte. Das war ein erregendes Gefühl, aber nicht ohne gemischte Empfindungen. In gewisser Weise ist es einfacher, Dissident zu sein, weil man keine Verantwortung trägt. Als Mitglied der Exekutive hatte ich Argumente abzuwägen und Entscheidungen zu treffen und damit zu rechnen, von Rebellen kritisiert zu werden, wie ich selbst einer gewesen war.
In Südafrika war eine Massenaktion gefährlich, denn zu streiken war für einen Afrikaner eine kriminelle Handlung, und das Recht auf Rede- und Bewegungsfreiheit war gnadenlos eingeschränkt. Bei einem Streik lief der Afrikaner nicht nur Gefahr, seinen Job zu verlieren, sondern auch seine gesamte Lebensgrundlage und das Wohnrecht in seinem Viertel.
Nach meiner Erfahrung ist ein politischer Streik stets viel riskanter als ein ökonomischer. Ein Streik, der auf politischem Unmut basiert und nicht auf klar umrissenen Programmpunkten wie höheren Löhnen oder kürzerer Arbeitszeit, ist eine weitaus prekärere Form des Protests und erfordert eine besonders schlagkräftige Organisation. Der Protesttag war ein politischer, kein wirtschaftlicher Streik.
Zur Vorbereitung auf den 26. Juni reiste Walter durch das Land, um sich mit lokalen Führern zu beraten. Während seiner Abwesenheit übernahm ich das ANC-Büro, in dem es wie im Taubenschlag zuging; es war Dreh- und Angelpunkt für das schwierige Ereignis. Jeden Tag schauten verschiedene ANC-Führer herein, um sich zu vergewissern, ob auch alles nach Plan verlief: Moses Kotane, Dr. Dadoo, Diliza Mji, J. B. Marks, Präsident des ANC von Transvaal, Yusuf Cachalia und sein Bruder Maulvi, Gaur Radebe, Sekretär des Aktionsrats, Michael Harmel, Peter Raboroko, Ntatho Motlana. Ich koordinierte die Aktionen in verschiedenen Teilen des Landes und hielt Telefonkontakt zu regionalen Führern. Viel Zeit hatten wir uns nicht gelassen, und die Planung ging in ziemlicher Hast vor sich.
Der Tag des Protestes war der erste Versuch des ANC, einen politischen Streik nationalen Ausmaßes durchzuführen, und er war nur ein mäßiger Erfolg. In den Städten blieb die Mehrheit der Arbeiter zu Hause, und schwarze Ladenbesitzer hatten geschlossen. In Bethal führte Gert Sibande, der später Präsident des ANC von Transvaal wurde, eine Demonstration von 5000 Menschen an. Der Protesttag stärkte unsere Moral, machte uns unserer Stärke bewußt und warnte die Regierung Malan, daß wir angesichts der Apartheid nicht passiv sein würden. Der 26. Juni wurde später zum Gedenktag des Freiheitskampfes, und in der Befreiungsbewegung galt er als Freiheitstag.
Zum erstenmal hatte ich bei einer nationalen Kampagne eine wichtigere Rolle gespielt und verspürte jene Heiterkeit, die mit dem Erfolg einer wohlgeplanten Schlacht gegen den Gegner einhergeht, und das Gefühl von Kameradschaft, das der Kampf gegen furchterregende Gefahren auslöst.
Der Kampf, das lernte ich nun, war allumfassend. Ein Mann, der in den Kampf verwickelt war, war ein Mann ohne häusliches Leben. Genau am Tag des Protests wurde mein zweiter Sohn, Makgatho Lewanika, geboren. Ich war bei Evelyn im Krankenhaus, als er zur Welt kam, aber das war nur eine kurze Unterbrechung meiner Aktivitäten. Ich nannte ihn nach Sefako Mapogo Makgatho, dem zweiten Präsidenten des ANC, von 1917 bis 1924, und Lewanika, einem führenden Häuptling in Sambia. Makgatho, Sohn eines Pedi-Häuptlings, hatte Freiwillige angeführt, um rassistischen Gesetzen zu trotzen, die es Afrikanern verboten, die Bürgersteige von Pretoria zu benutzen. Sein Name war für mich ein Symbol für Unbeugsamkeit und Mut.
Etwa zu dieser Zeit erzählte mir meine Frau eines Tages, mein älterer Sohn, Thembi, damals fünf Jahre alt, habe sie gefragt: »Wo wohnt Daddy?« Ich kehrte spätabends heim, wenn er schon lange schlief, und ging früh aus dem Haus, bevor er aufwachte. Ich schätzte es gar nicht, auf die Gegenwart meiner Kinder verzichten zu müssen. Sie fehlten mir sehr während jener Tage, lange bevor ich auch nur eine
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