Der lange Weg zur Freiheit
Ahnung hatte, daß ich jahrzehntelang von ihnen getrennt sein würde.
Damals wußte ich weit genauer, wogegen ich war als wofür. Mein langgehegter Widerstand gegen den Kommunismus brach langsam in sich zusammen. Moses Kotane, Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Mitglied der ANC-Exekutive, kam oft spätabends zu mir nach Haus, und wir debattierten die ganze Nacht hindurch. Kotane, Sohn von Farmern in Transvaal, hatte einen klaren Verstand; sein Wissen hatte er sich selbst angeeignet. »Nelson«, pflegte er zu sagen, »was hast du gegen uns? Wir bekämpfen alle denselben Feind. Wir wollen den ANC nicht beherrschen. Unsere Arbeit steht im Kontext des afrikanischen Nationalismus.« Am Schluß hatte ich seinen Argumenten nur noch wenig entgegenzuhalten.
Aufgrund meiner Freundschaft zu Moses Kotane, Ismail Meer und Ruth First und angesichts der Opfer, die sie brachten, fand ich es immer schwieriger, meine Vorurteile gegen die Kommunistische Partei zu rechtfertigen. Innerhalb des ANC waren Parteimitglieder wie J. B. Marks, Edwin Mofutsanyana, Dan Tloome, David Bopape und andere gleichermaßen engagierte und hart arbeitende Freiheitskämpfer, deren Einsatz nichts zu wünschen übrig ließ. Dr. Dadoo, einer der Führer des Widerstands von 1946, war ein wohlbekannter Marxist, dessen Rolle als Kämpfer für die Menschenrechte ihn für alle Gruppen zum Helden gemacht hatte. Ich konnte und wollte die Aufrichtigkeit solcher Männer und Frauen nicht länger in Zweifel ziehen.
Doch wenn ich ihr Engagement auch nicht bezweifeln konnte, so stellte ich doch die philosophischen und praktischen Grundlagen des Marxismus in Frage. Freilich hatte ich nur geringe Kenntnisse vom Marxismus, und in politischen Diskussionen mit meinen kommunistischen Freunden und Kollegen sah ich mich immer wieder benachteiligt durch meine Ignoranz hinsichtlich der marxistischen Philosophie. Ich beschloß, hier Abhilfe zu schaffen.
Ich besorgte mir die vollständigen Werke von Marx und Engels, Lenin, Stalin, Fidel Castro, Ho Chi Minh und Mao Tse-tung und vertiefte mich in die Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus. Doch hatte ich nur wenig Zeit, diese Werke gründlich zu studieren. Während das Kommunistische Manifest mich anregte, erschöpfte mich »Das Kapital«. Die Idee einer klassenlosen Gesellschaft hatte auf mich eine starke Anziehungskraft, ähnelte sie doch für mich der traditionellen afrikanischen Kultur, in der das Leben von allen geteilt und gemeinschaftlich war. Ich unterstrich Marx’ fundamentales Diktum, das die Einfachheit und Großzügigkeit der goldenen Regel besitzt: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.«
Der dialektische Materialismus war nicht nur wie ein Scheinwerfer, der die dunkle Nacht rassischer Unterdrückung erhellte, sondern auch ein Mittel, das eingesetzt werden konnte, um ebenjene Unterdrückung zu beenden. Er half mir dabei, die Situation nicht nur aus dem Blickwinkel schwarz-weißer Beziehungen zu sehen, denn wenn unser Kampf Erfolg haben sollte, so mußten wir Schwarz und Weiß überwinden. Was mich besonders anzog, waren die wissenschaftlichen Grundlagen des dialektischen Materialismus, denn ich neige stets dazu, dem zu trauen, was ich selbst verifizieren kann. Die Idee, daß der Wert von Gütern auf der Menge an Arbeit basiert, die in sie gesteckt wird, schien besonders aufschlußreich für Südafrika zu sein. Die herrschende Klasse zahlte den afrikanischen Arbeitern nur Subsistenzlöhne, Löhne, die sie am Leben erhielten, und fügte den Kosten der Güter jenen Wert hinzu, den sie selbst einstrich.
Der marxistische Aufruf zur revolutionären Tat war Musik in den Ohren eines Freiheitskämpfers. Der Gedanke, daß die Geschichte durch Kampf fortschreitet und Wandel sich in revolutionären Sprüngen vollzieht, war gleichfalls anziehend. Die Lektüre marxistischer Werke vermittelte mir viele Informationen über jene Art von Problemen, denen sich ein praktischer Politiker gegenübersieht. Marxisten hatten schon lange nationale Befreiungsbewegungen unterstützt, und die Sowjetunion im besonderen die nationalen Kämpfe vieler Kolonialvölker. Das war ein weiterer Grund dafür, daß ich meine Meinung über Kommunisten revidierte und die Position des ANC akzeptierte, Marxisten in seinen Reihen willkommen zu heißen.
Ein Freund fragte mich einmal, wie mein Bekenntnis zum afrikanischen Nationalismus zu versöhnen sei mit dem Glauben an den dialektischen
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