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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Pose, die sie wollte, und um-kreiste ihn langsam, ihren Zeichenblock auf den Knien und Blatt für Blatt mit festen Strichen füllend. »Sag, wenn du eine Pause brauchst«, sagte sie einmal, aber es dauerte länger als zwei Stunden, bis er aus seiner Trance wiederkehrte, in der er nicht einmal das Reiben der Stifte und Quietschen der Rollen unter ihrem Stuhl gehört hatte. Nur eine Art Musik, die er nie würde beschreiben können.
    »Du bist phantastisch.« Sie reckte sich, als hätte sie statt seiner stillgesessen. »Komm, wir gehn essen.«
    Bis er wieder fahren mußte, blieb nicht mehr viel Zeit, und so konnte er sich in dieser neuen Vertrautheit nicht einrichten. Er hoffte, sie würde dauern, glaubte aber, daß dieser Zustand zum Zeichnen gehörte und deshalb wieder vergehen müßte.
    Später im Wagen aber dachte er, es läßt sich ja erneuern. Wann immer sie mich zeichnet, wird es wieder da sein, und er begriff, was das für ein Vertrautsein war.
    Dasselbe wie nach der Liebe. Dieselbe wortlose Einigkeit und derselbe tröstliche Glaube, nur ein Teil von etwas Größerem zu sein.

36.
     
    Rudi hat nicht angerufen. Statt dessen poltert er in der nächsten Nacht gegen elf Uhr in die Wohnung und ruft : »Es hat geklappt. Du bist um zwölftausend Mücken ärmer !«
    »Erzähl«, sagt Martin und drückt ihn auf den Küchen-stuhl.
    »Du bist nicht ganz richtig informiert«, fängt Rudi an, »sie wohnt in ihrer Wohnung. Durchschnitt zehn, wie’s im Telefonbuch steht. Keine Spur von einem Professor.
    Ich hab dort angerufen und nach ihr gefragt, und da sagt sie ›am Apparat‹ Was du mir auch verschwiegen hast, ist das Kaliber.«
    »Kaliber ?«
    »Die Frau ist doch ein Grund, sich an den Regen zu gewöhnen !«
    Martin muß lachen. Auch einer, in die Sonne zu wollen, denkt er, sagt aber nur : »Weiter.«
    »Ich könnt mich ernstlich verlieben.«
    »Tu’s nicht, das hat seine Schattenseiten.«
    Rudi sieht ihn an, als frage er sich, ob von Martin Gefahr drohe, ob er eifersüchtig sei, ob man seine Worte besser wählen müsse. »Na gut. Schon klar. Ich verlieb mich nicht. Versprochen. Hör zu : Ich hab vierunddreißig Bilder von ihr, mehr, sagt sie, hat sie nicht, weil sie immer wieder die mißlungenen zerstört. Stimmt das ?«
    »Ja. Sie hat phantastische Bilder zerschnitten oder übermalt. Das kann man nicht mit ansehen.«
    »Ich glaube, sie hat mir das mit den Sammlern nicht recht abgenommen«, fährt Rudi fort. »Sie hält mich wohl für einen Galeristen, der vielleicht ein Krankenhaus oder eine Behörde einrichtet, aber trotzdem war sie mit dem Preis zufrieden. Sie kann ja neue malen, hat sie gesagt. Und das mit dem steigenden Marktwert hat ihr gefallen.«
    »Und die Bilder, wo hast du die ?«
    »Schickt sie mir.«
    »Nach Rom ? Bist du blöd ?«
    »Aber nein, reg dich ab. In die Schweiz. Ich komme aus Rupperswil im Kanton Aargau. Und falls sie dort anrufen sollte, sagt mein Gewährsmann, ich sei auf Reisen. Er schickt die Bilder weiter und alle andere Post auch.«
    Rudi holt eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, jagt den Korken durchs Fenster in die Nacht, füllt zwei Gläser und sagt : »Prost Partner. Auf deine Exfrau oder wer sie ist. Sie macht mir Eindruck.«
    »Fandest du sie irgendwie bedrückt oder so ?« fragt Martin und will sich im selben Augenblick auf die Zunge beißen, so klar muß Rudi sein, daß er hören will, sie vermisse ihn. Aber Rudi zeigt Stil und läßt sich nichts anmerken, kein Mitleid, keinen Spott und kein Interesse, als er antwortet : »Nein. Ein bißchen in sich selbst versunken vielleicht, aber nicht bedrückt, nee.«
    Martin ist froh, um die Peinlichkeit herumgekommen zu sein, und vielleicht fühlt sich auch deshalb seine Enttäuschung wie Erleichterung an.

9.
     
    Er machte keinen Versuch, sich ihr zu nähern. Ihre Zeichen, daß er Abstand halten sollte, waren deutlich, er hätte sich nur blamiert und immer weitere dieser Zeichen herausgefordert. Aber etwas Ähnliches wie Intimität entstand dennoch zwischen ihnen durch die Stunden, in denen sie ihn zeichnete. Als baute sich ein immer dichter abgeschotteter Raum um sie beide auf, in den die Außenwelt kaum noch eindringen konnte, stellten sie ihre Leben aufeinander ein wie ein Paar.
    Versorgt voneinander mit allem außer Liebe.
    Ihr Tagesablauf geriet zu einem festen Ritual. Sie kam mit Brötchen fürs Frühstück, deckte den Tisch und machte Kaffee, während er duschte, und dann, meist gegen vier Uhr nachmittags, gingen sie durch den

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