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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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kann sie die Nachmieter fragen.«
    So ging es hin und her, bis Rudi sich einigermaßen sicher fühlte. Er versprach, sich zu melden, falls irgendetwas Unerwartetes geschähe.
     
    *
     
    »Pronto ?« sagt Martin in den Hörer und ist bereit, seinen gelernten Satz abzuspulen, falls die Stimme am anderen Ende Italienisch zu sprechen anfinge.
    »This is Sharon, bist du das, Martin ?«
    »Ja. Hallo.«
    »Are you mad at me ? Bist du mir böse ?«
    »Nein. Aber nein. Dafür kannst du doch nichts. Mach dir keine Gedanken.«
    »Ich wollte dich und Rudi für übermorgen abend zu Manfred einladen. Er sagt, du bist einsam. Er macht ein Fest in seiner Garten und hat mich gefragt, euch zu sagen.«
    »Ja, gern. Rudi ist aber weg. Weiß nicht, ob er rechtzeitig kommt.«
    »Ja. Hauptsache, du.«
    »O.K. Ich komm gern.«
    »Martin ?«
    »Ja ?«
    »Es tut mir wirklich leid. Ehrlich.«
    »Schon gut. Ich bin nicht sauer. Auch ehrlich.«
    »Martin ?«
    »Hm ?«
    »Bist du wirklich einsam ?«
    Er muß nachdenken, um diese Frage richtig zu beantworten. Ist er einsam ? Vielleicht, ja. Irgendwas spürt er bei diesem Wort, und es ist nichts Angenehmes. »Könnte sein. Doch. Aber vielleicht will ich es so haben.«
    Sein Schweigen hat zu lang gedauert.
    »See you there«, sagt Sharon und legt auf.
    Er hat sie völlig vergessen. Dabei war er bei Franca Brauckner so vernarrt in sie gewesen, daß er ihr den Wagen regelrecht aufgedrängt hatte. Nun ja, jetzt, mit ihrer Stimme im Ohr, hat er auch ihr Bild wieder vor Augen. Ihm gehen Vorstellungen durch den Kopf, wie sie sich das Hemd aufknöpft, er ihr den Rock hochschiebt und sie ihm ins Ohr flüstert : »Bist du einsam ?« Er muß ausgehungert sein. Aber unter seiner Gürtellinie herrscht so lange schon diese Trostlosigkeit, daß die Vorstellungen nicht besonders wirken. Es ist, als könne die Liebe nur fade sein. Sie knöpft ihr Hemd auf, na und ? Er schiebt ihren Rock hoch, na und ? Sie flüstert ihm ins Ohr, das kitzelt nur und stört.

8.
     
    Da war nichts zu entdecken, was nicht ihr gehören konnte, als er sich in Annes Wohnung umsah. Entweder hatte das ominöse Arschloch keine Spuren hinterlassen, oder alle waren restlos getilgt. Überall hingen oder lehnten Bilder an den Wänden, und die allermeisten stellten Martin dar. Eindeutig. Ihre Malweise vergröberte stark, und den Gesichtern war weniger Aufmerksamkeit widerfahren als den Körpern, aber er kannte die Posen und sah sich wie in einem vibrierenden Spiegel. Es waren nur Akte, und sie wirkten eigentümlich unkomponiert, so, als seien die Figuren ganz zufällig in den Bildausschnitt geraten. Aber wandte man die Augen ab, dann schien es, als sprängen diese Körper aus der Wand, jeder mit einer eindringlichen Gebärde.
    »Das ist mir eine Ehre«, sagte er.
    »Verstehst du was davon ?« fragte sie, und es klang nicht wie ein Verbot, sich einzumischen, sondern so, als interessiere sie sich wirklich für die Antwort.
    »Ich glaube nicht, nein.«
    Sie stellte sich neben ihn mit einer kleinen Mappe und blätterte Skizzen, eine nach der anderen, um. »Gefallen dir die ?«
    Sie wollte die Mappe wieder schließen, nachdem sie das letzte Blatt umgedreht hatte, aber er fiel ihr in den Arm, sagte : »Moment« und blätterte zurück. »Das hier«, und er blätterte weiter, »das hier und dieses, die sind vielleicht nicht so gut.«
    »Du verstehst was davon«, konstatierte sie trocken, nahm die drei Blätter heraus, zerriß sie und warf die Fetzen in den Papierkorb. »Dich frag ich öfter.«
    Er erschrak vor der unbeteiligten Miene, mit der sie ihre eigenen Bilder zerstörte.
     
    *
     
    Ein eigentümliches Gefühl, sich für eine einzelne Person auszuziehen. Im Aktsaal war es selbstverständlich gewesen und seine Nacktheit so normal wie früher in der Dusche nach dem Turnunterricht. Aber jetzt in diesem leeren Zimmer, in dem es nur ein Podest, eine Staffelei, einen Stuhl mit Rollen und eine Spanplatte auf zwei Malerböcken gab, war er schamhaft wie nie zuvor.
    Schamhaft, das Wort ist ausgestorben, dachte er, als er sich dessen bewußt wurde. Was mach ich, wenn mein Ding sich wieder regt ?
    Die Sorge war unbegründet, nichts rührte sich. Nach Herzenslust konnte sie an ihm herumbiegen, und keine ihrer Berührungen löste irgend etwas aus. Außer einem kleinen Gefühl des Stolzes, ihrer eindringlichen und behutsamen Aufmerksamkeit wert zu sein. Ist ja klar, dachte er, ich hab viel zuviel Angst davor, da kann es nicht passieren.
    Endlich hatte sie die

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