Der langsame Tanz
sie sein Bett freigeben oder vermeiden, daß er sich zu ihr legte ? Es gefiel ihm, von ihr empfangen zu werden. An diesem Morgen jedoch schlief sie tief, und er setzte sich leise wie beim ersten Mal an seinen Küchentisch.
Er war auf Seite drei der Morgenpost, als er sie auf-stehen und heranschlurfen hörte.
»Hallo.« Sie fuhr sich verschlafen mit der Hand durch die Haare. »Sitzt du da schon lang ?«
Er schaute auf seine Armbanduhr und schüttelte den Kopf.
»Du mußt dich bitte umdrehn«, sagte sie, nahm ihn bei den Schultern und drehte ihn so, daß er mit dem Rücken zur Duschkabine saß. Diese Haltung war unbequem, aber er nahm sie gern in Kauf, denn so konnte er ihr Spiegelbild im Küchenfenster sehen. Die Tage wurden allmählich kürzer, und der Himmel war grau verhangen, deshalb brannte in der Küche noch das Licht.
Sie zog sich ihr T-Shirt über den Kopf, und als sie sich niederbeugte, um das Höschen abzustreifen, fielen ihre Brüste nach vorn, und er hielt den Atem an. Sie beugte sich noch tiefer, so daß der Tisch sie verbarg, und als sie wieder auftauchte, sah ihm ihr Spiegelbild direkt in die Augen.
»Hab ich gewußt«, sagte sie, aber es klang nicht entrüstet. Schnell verschwand sie in der Duschkabine und zog die Tür zu.
»Auch nicht mit den Augen«, sagte sie, als das Wasser zu fließen begann.
»Was nicht mit den Augen ?«
»In mich dringen.«
»Sagte das Playboy-Modell mit den Heerscharen gebrochener Herzen hinter sich.«
»Fotos«, sagte sie verächtlich, »Fotos leben nicht. Ich lebe.«
Das mache es schöner, wollte er sagen, verkniff sich aber die Bemerkung. So leicht, wie es sollte, würde es nicht klingen, denn er hatte noch immer ihre Brüste vor Augen und den Blick, mit dem sie ihn eben ertappt hatte. Er stand vom Tisch auf und legte sich nebenan ins Bett.
Als sie aus der Dusche kam, fragte er : »Wieso hab ich dich an der Hochschule nicht gefunden ?«
»Ich studier dort schon lang nicht mehr.«
»Aber du warst doch beim Aktzeichnen ?«
»Aber nicht mehr als Studentin«, sagte sie.
»Mein Malereistudium ist schon lang fertig. Ich steh kurz vor dem Examen in Kunstgeschichte. An der Uni.«
Sie hantierte mit der Kaffeemaschine, raschelte mit der Zeitung und klimperte mit Besteck. Er dämmerte langsam weg und antwortete schon im Halbschlaf, als sie ihn fragte : »Kann ich dich heut zeichnen ?«
»Nach dem Frühstück. Weck mich. Halb fünf.« Das Plätschern und Gurgeln des Kaffees aus der Maschine träumte er schon.
35.
Seit einiger Zeit läßt er den Stadtplan zu Hause, wenn er zu Fuß ins Zentrum geht. Inzwischen reicht sein Italienisch schon für Fragen nach dem Weg. Meist geht er jedoch ohne festes Ziel und läßt sich mit den Menschenströmen treiben.
Die Touristen beachtet er nicht, nur manchmal, wenn er deutsch reden hört, denkt er, als Toter müßte ich aufpassen, daß mich niemand erkennt. Alle Welt ist in Rom, mich könnte jederzeit einer ansprechen. Aber das passiert nie. Vielleicht weil er immer öfter durch die Seitenstraßen geht. Er fühlt sich schon fast als Römer, denn er kennt jetzt ihre Wege durch die Stadt.
*
Gestern ist Rudi nach Hamburg gefahren. Die Pläne, die sie geschmiedet hatten, kann Martin für seine Geschichte brauchen. Wie Pingpongbälle waren die Probleme und Lösungsvorschläge zwischen ihnen hin-und hergeflogen.
»Wird sie bereit sein, den Galeristen um seinen Anteil zu bescheißen ?« fragte Rudi. »Sie verdankt ihm, daß ich ihre Bilder entdecke.«
»Jede Wette. Kennst du einen Künstler, der nicht über Leichen geht ?«
»Und wie hab ich ihre Adresse rausgefunden ?«
»Du hast im Telefonbuch nachgesehen. Der Galerist hat sie dir natürlich nicht gegeben, weil er gerochen hat, daß du ihn umgehen willst.«
»Hast du nicht gesagt, sie hat ein Pseudonym ?«
»Doch, du hast recht. Aber wart mal, das Pseudonym fängt an wie ihr Familienname. Boro, Borowsky. Du hast dir dein Teil gedacht und alle weiblichen Teilnehmer mit Boro am Anfang angerufen. Sie ist die fünfte oder so.«
»Mhm, wenn sie ein bißchen leichtgläubig ist, könnte das gehen. Da kann sie meinen Scharfsinn bewundern.
Ist sie ein bißchen leichtgläubig ?«
»Ach nein ! Verdammt ! Sie wohnt ja bei Hanisch, und den kannst du nicht kennen.«
»Moment, ich kann doch in ihrer eigenen Wohnung angerufen und nach ihr gefragt haben. Die Nachmieter haben mir die Nummer gegeben.«
»Jetzt bewundere ich deinen Scharfsinn.«
»Ich ruf da wirklich an, dann
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